Christof K. Letzgus, Dr. Ronald Gebhardt
3.1.2.1 Fortgeltung der Mutter-Tochter-Richtlinie/Zins- und Lizenz-Richtlinie während des Brexit-Übergangszeitraums bis 31.12.2020
Gemäß § 1 Brexit-ÜG galt das VK während des Übergangszeitraums bis zum 31.12.2020, in dem das Unionsrecht für das VK anwendbar blieb, im Bundesrecht grundsätzlich weiterhin als Mitgliedstaat der EU. Erst nach Ablauf des Übergangszeitraums kommen daher die mit dem Brexit verbundenen steuerrechtlichen Änderungen zur Anwendung.
In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass im Hinblick auf Quellensteuern auf Dividenden und Lizenzen die EU-Richtlinien nach einem EU-Austritt auch dann keine Anwendung mehr finden, wenn das VK künftig (wieder) EWR-Mitglied sein sollte.
3.1.2.2 Anwendung des DBA Deutschland-Vereinigtes Königreich und nationale Vorschriften
3.1.2.2.1 Gewinnausschüttungen
Grundsätzlich unterliegen Gewinnausschüttungen einer deutschen Tochtergesellschaft an ihre britische Muttergesellschaft gem. § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG der Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag i. H. v. insgesamt 26,375 %, von denen bei einem beschränkt steuerpflichtigen britischen Gesellschafter i. S. v. § 2 Nr. 1 KStG grundsätzlich eine Erstattung (nach erfolgter Abführung) von 2/5 nach § 44a Abs. 9 Satz 1 EStG in Betracht kommt.
Die Mutter-Tochter-Richtlinie (Richtlinie 2011/96/EU vom 30.11.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 345), die innerhalb der EU eine vollständige Entlastung von Kapitalertragsteuern und ähnlichen Quellensteuern auf Dividenden und andere Gewinnausschüttungen vorsieht, die einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft zufließen oder einer dort belegenen Betriebsstätte zuzurechnen sind, ist in § 43b EStG in nationales deutsches Recht umgesetzt worden. Gemäß § 43b Abs. 1 Satz 1 EStG wird die Kapitalertragsteuer unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag nicht erhoben.
Neben bestimmten Anforderungen an die Rechtsform der beteiligten Mutter- und Tochtergesellschaft setzt § 43b Abs. 2 EStG voraus, dass die Mindestbeteiligung von 10 % ununterbrochen zwölf Monate besteht. Die vollständige Entlastung von deutscher Kapitalertragsteuer kann entweder im Wege der Freistellung im Steuerabzugsverfahren (§ 50d Abs. 2 EStG a. F., künftig § 50c Abs. 2 EStG i. d. F. des AbzStEntModG) oder durch nachträgliche Erstattung (§ 50d Abs. 1 EStG a. F., künftig § 50c Abs. 3 EStG i. d. F. des AbzStEntModG) erreicht werden.
Ohne weitere Regelungen im Zusammenhang mit dem Brexit sind die Regelungen der Mutter-Tochter-Richtlinie bzw. des § 43b EStG nach dem Brexit bzw. dem Ablauf des Übergangszeitraums nicht mehr auf Sachverhalte anwendbar, in denen eine deutsche Tochtergesellschaft an ihre britische Muttergesellschaft Gewinnausschüttungen leistet. Eine teilweise Entlastung von deutscher Kapitalertragsteuer kommt dann auf Basis des DBA-UK in Betracht. Gemäß Art. 10 Abs. 2 Buchst. a DBA-UK kommt eine Herabsetzung der Kapitalertragsteuer auf 5 % in Betracht, sofern die britische Muttergesellschaft keine Personengesellschaft ist, und sie unmittelbar über mindestens 10 % des Kapitals der deutschen Tochtergesellschaft verfügt.
Liegen die vorgenannten Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 Buchst. a DBA-UK nicht vor, kommt nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. c DBA-UK eine Herabsetzung der Kapitalertragsteuer auf 15 % in Betracht. Allerdings steht bei Nichterreichen der für die "Schachtelermäßigung" nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. a DBA-UK erforderlichen unmittelbaren Beteiligungshöhe von 10 % am Kapital der ausschüttenden deutschen Tochtergesellschaft nur das Erstattungsverfahren zur Verfügung (§ 50d Abs. 2 Satz 1 HS 2 EStG a. F., künftig § 50c Abs. 2 Satz 5 EStG i. d. F. des AbzStEntModG).
Darüber hinaus ist bei der Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG a. F. zu beachten, dass insbesondere in tiefergestaffelten Strukturen der Brexit und eine damit verbundene "Statusverschlechterung" von 0 % auf (im günstigsten Fall) 5 % dazu führen kann, dass es bei derzeit aus der Kapitalertragsteuer-Perspektive steueroptimal aufgestellten Inbound-Strukturen über das VK zukünftig zu einem unerwünschten Einbehalt von Kapitalertragsteuer kommt. Hintergrund ist, dass für den Fall, dass in einer Konzernkette eine Gesellschaft einen (hypothetischen) Entlastungsanspruch auf beispielsweise 5 % hat, eine Besserstellung auf höheren Ebenen (z. B. 0 % nach dem DBA-USA) "gesperrt" ist.
Ebenso können bereits nach der bisherigen Fassung von § 50d Abs. 3 EStG (vor AbzStEntModG) Strukturen mit substanzhaltiger oder gar börsennotierter UK-Konzernspitze und EU-Zwischenholding betroffen sein, wenn die EU-Zwischenholding nicht den Substanztest nach § 50d Abs. 3 EStG a. F. besteht bzw. nicht als wirtschaftlich Nutzungsberechtigte i. S. d. neuen EuGH-Rechtsprechung qualifiziert. Denn ein "Durchgriff" auf die mittelbare Gesellschafterin in UK kann dann nur noch ein Schutzniveau entsprechend dem DBA-UK, mithin bestenfalls eine Reduktion der Kapitalertragsteuer auf 5 %, nicht aber auf das Niveau des § 43b EStG (0 %) bewirken.
Fallbeispiel 15
Die US TopCo. ist Konzernspitze und in den USA börsennotiert. Sie hat ihren Markteintritt in Europa vor längerer Zeit über die UK OpCo. vollzogen, die u. a. in mehreren EU-Staaten Tochtergesellschaften etablierte, darunter die deuts...