Jörg Hanken, Guido Kleinhietpaß
Die Beispiele haben gezeigt, dass die VP-Bildung auf Basis von steuerlichen VP-Methoden zu betriebswirtschaftlichen Fehlsteuerungen führen kann. Wenn es manchmal heißt, dass steuerliche Verrechnungspreise keinen Einfluss auf die Höhe des Konzernergebnisses hätten, so ist das bei 1-Preis-Systemen häufig nicht richtig. Diese Preise weisen nicht nur den beteiligten Gesellschaften (und damit den Staaten) ein Ergebnis zu. Sie können auch die absolute Höhe des Konzernergebnisses verändern. Im Buch ist eingangs beschrieben worden, dass das Controlling-Ziel die Maximierung des Konzerndeckungsbeitrags (d. h. ›Kuchen vergrößern‹) und das steuerliche Ziel die wertschöpfungsadäquate Aufteilung des Konzernergebnisses auf die involvierten Konzerngesellschaften ist (d. h. ›Kuchen aufteilen‹). In der Unternehmenspraxis besteht jedoch die Problematik, dass zumindest bei 1-Preis-Systemen die steuerlich gebildeten VP auch dazu führen können, dass der ›Kuchen‹ kleiner wird. Es ist eine größere, aber lösbare Aufgabe, 1-Preis-Systeme derart auszugestalten, dass sowohl die Controlling-Ziele als auch die steuerlichen Compliance-Ziele erreicht werden können (vgl. z. B. Modell 5 im Teil D, Kapitel 22.2.6). Schließlich führt die Erreichung der Controlling-Ziele zu einer Steigerung des Konzerndeckungsbeitrags, die wiederum zu einer Steigerung der zu verteilenden steuerlichen Bemessungsgrundlage führt (häufig Erhöhung des steuerlichen Einkommens des Strategieträgers).
Die Ursachen für die in den Beispielen gezeigten Fehlentscheidungen können vielschichtig sein. Wenn eben das lokale Ergebnis der Vertriebsgesellschaft Maßstab für den Bonus des Vertriebs ist, kann man nachvollziehen, dass der Vertrieb Produkte nicht verkauft, die aus seiner lokalen Sicht keinen positiven Deckungsbeitrag erwirtschaften (vgl. obigen Beispielsfall B mit einem Endkundenpreis von 79 EUR). Dieses Verhalten kann durch Fehlanreize verursacht werden oder eben schlicht auf Informationsdefiziten beruhen. In der Unternehmenspraxis gibt es zahlreiche Gründe, warum Mitarbeiter wie auch Führungskräfte nicht immer das tun, was aus Konzernsicht ›richtig‹ wäre. Darum ist es so wichtig, die Anreize so zu setzen, dass privates Interesse immer auch dem Firmeninteresse dient. Daher ist die Festlegung der aus Konzernsicht ›richtigen‹ Ziele/Anreize/Bonusregelungen eine sehr komplexe Aufgabe, vor allem weil die Ziele etc. situationsabhängig je nach Wachstumsstrategie, Marktumfeld, Wettbewerbssituation flexibel vom Konzern angepasst werden müssten.
Das Kapitel 22.2 stellt verschiedene Vorschläge zur Diskussion, wie die beschriebenen Informationsdefizite beseitigt werden könnten.