Nach knapp einjährigen Verhandlungen konnten sich die EU und das VK Ende Dezember 2020 auf einen neuen Partnerschaftsvertrag einigen. Das zwischen der EU und dem VK geschlossene Handels- und Kooperationsabkommen (EU-UK TCA) enthält Präferenzregelungen in Bereichen wie Handel mit Waren und Dienstleistungen, digitaler Handel, geistiges Eigentum, öffentliches Beschaffungswesen, Luftfahrt und Straßenverkehr, Energie, Fischerei, Koordinierung der sozialen Sicherheit, Strafverfolgung und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, fachliche Zusammenarbeit und Teilnahme an Unionsprogrammen. Es wird durch Bestimmungen untermauert, die gleiche Wettbewerbsbedingungen und die Achtung der Grundrechte gewährleisten.
3.1 Regelungen für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
Das Abkommen enthält im Teilbereich Vier "Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und Visa für kurzfristige Besuche" Regelungen für den Bereich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Ch.SSC.3). Die konkreten Koordinierungsregelungen sind dann in dem Protokoll über die Koordinierung der sozialen Sicherheit zu finden. Bei näherer Betrachtung entsprechen diese im Wesentlichen den Bestimmungen der VO (EG) 883/2004 und VO (EG) 987/2009.
- Dies bedeutet, dass die Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zwischen Deutschland und dem VK ab dem 01.01.2021 wie folgt anzuwenden sind:
- Für Sachverhalte, die einen grenzüberschreitender Bezug zum VK vor dem 01.01.2021 haben, sind die Regelungen der VO (EG) 883/2004 und VO (EG) 987/2009 unter den im Austrittsabkommen genannten Voraussetzungen weiter anzuwenden und für Sachverhalte, die ab dem 01.01.2021 beginnen und vorher keinerlei grenzüberschreitenden Bezug zwischen einem EU-Mitgliedstaat und dem VK hatten, sind die Regelungen des EU-UK TCA anzuwenden.
Beispiel
Herr Bierschröter, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, lebt seit seiner Geburt in Bielefeld und arbeitet dort, wie die beiden Kollegen Watson und Juric, im Verlagshaus im Lektorat. Auch er soll Frau Watson zum 01.03.2021 auf die Entsendung in das VK begleiten.
Lösung
Vor dem 01.01.2021 war Herr Bierschröter in keiner grenzüberschreitenden Situation zwischen dem VK und einem Mitgliedstaat der EU (Deutschland). Die Beurteilung des Sachverhaltes im Hinblick auf die Koordinierung der sozialen Sicherheit erfolgt auf der Grundlage des entsprechenden Protokolls zum EU-UK TCA.
3.2 Arbeitgeber und Erwerbstätige
Liegt kein grenzüberschreitender Sachverhalt vor, der ohne Unterbrechung über den 31.12.2020 hinausgeht, erfolgt – wie gesagt – die Koordinierung der sozialen Sicherheit zwischen dem VK und der EU nicht mehr mittels Übergangsregelungen des Austrittsabkommens, sondern alleine über die Regelungsgen des o. g. Protokolls zum EU-UK TCA.
3.2.1 Sachlicher Geltungsbereich
Das Protokoll zum EU-UK TCA koordiniert im Wesentlichen die nachfolgend genannten leistungsrechtlichen Tatbestände (Art. SSC 3 Abs. 1):
- Leistungen bei Krankheit,
- Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft,
- Leistungen bei Invalidität,
- Leistungen bei Alter,
- Leistungen an Hinterbliebene,
- Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten,
- Sterbegeld,
- Leistungen bei Arbeitslosigkeit,
- Vorruhestandsleistungen,
- Familienleistungen.
Im Hinblick auf das deutsche System der sozialen Sicherheit können alle Zweige der deutschen Sozialversicherung (Kranken-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung) unter diese Leistungsarten gefasst werden. Aber anders als im sachlichen Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004 werden nach Art. SSC 3 Abs. 4 Familienleistungen aus der Koordination ausgenommen. Dieses betrifft in Deutschland das steuerliche und sozialrechtliche Kindergeld (§§ 62 ff. EstG, 1 ff. BKGG) als auch das Elterngeld (§§ 1 ff. BEEG).
Darüber hinaus sind nach Art. SSC.3 Abs. 4 Buchst. d Leistungen bei Pflegebedürftigkeit vom sachlichen Geltungsbereich ausgenommen. In Bezug auf Deutschland betrifft dies die soziale und private Pflegepflichtversicherung (SGB XI). Aktuell führt dies dazu, dass bei bestimmten Sachverhalten bei der Bestimmung der anzuwenden Rechtsvorschriften erhebliche Schwierigkeiten bestehen. Es ist aber davon auszugehen, dass das Bundesministerium für Gesundheit in Kürze eine Lösung erarbeiten wird.
3.2.2 Territorialitätsprinzip im Rahmen der europarechtlichen Vorschriften
Durch die Abgrenzungsnormen des Protokolls zum EU-UK TCA wird im Verhältnis zwischen dem VK und der EU eine Mehrfachversicherung in verschiedenen Systemen der sozialen Sicherheit ausgeschlossen (Art. SSC.10 Nr. 1). Es gilt der Grundsatz, dass eine Person nicht zeitgleich zwei oder mehreren Systemen der sozialen Sicherheit angehören darf. Im Protokoll zum EU-UK TCA wird dies in Art. SSC.10 Nr. 3 Buchst. a gem. dem Territorialitätsprinzip definiert. Grundsätzlich unterliegt ein Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit des Staates, in dessen Gebiet er physisch seine Beschäftigung ausübt. In diesem Zusammenhang ist es unbeachtlich, in welchem Staat sich der Betriebssitz des Arbeitgebers befindet oder in welchem Staat der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat.
Beispiel
Frau Wojcik erhält von dem deut...