Im Abschnitt zu den umsatzsteuerlichen Auswirkungen des Brexits auf Transaktionen zwischen Deutschland und dem VK (vgl. Teil H) wird ausführlich beschrieben, dass Warenlieferungen zwischen den beiden Staaten ihren umsatzsteuerlichen Charakter durch den Austritt des VK deutlich verändern. Während nämlich bisher die mehrwertsteuerlichen Vorschriften für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr gelten (also regelmäßig zwischen Unternehmen in den beiden Staaten die Kombination aus innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichen Erwerb i. S. d. Mehrwertsteuersystems angewendet wird), werden nach dem Austritt entsprechende Lieferungen regelmäßig zu Ausfuhrlieferungen, und es kommt im Ankunftsstaat der Ware zu Einfuhrtatbeständen. Neben der abweichenden mehrwertsteuerlichen Behandlung bedeutet dies, dass in großem Umfang zollrechtliche Vorschriften für den Warenverkehr zwischen den beiden Staaten zu beachten sind.
Das am 30.12.2020 unterzeichnete Handelsabkommen enthält zwar zollrechtliche Erleichterungen, ändert aber nichts daran, dass grundsätzlich für Warenbewegungen zwischen dem VK und der EU zollrechtliche Vorschriften gelten.
2.2.1 Warenlieferung aus Deutschland nach Großbritannien als Ausfuhr
Wenn ein deutsches Unternehmen Ware an einen britischen Abnehmer verkauft und die Ware aus Deutschland nach Großbritannien befördert wird, kann umsatzsteuerlich eine steuerfreie Ausfuhrlieferung vorliegen. Unabhängig davon, ob dies tatsächlich der Fall ist, ist zu prüfen, ob der zollrechtliche Ausfuhrtatbestand erfüllt wird (vgl. Abschnitt 2.6.6). Bei einer Ausfuhr im zollrechtlichen Sinn besteht zollrechtlich die Verpflichtung, eine Ausfuhrzollanmeldung abzugeben (vgl. Abschnitt 2.6.6).
Beispiel
Der deutsche Unternehmer Müller GmbH in Münster verkauft eine Ware an den deutschen Unternehmer Meyer GmbH in Hannover. Die Meyer GmbH verkauft die Ware weiter an den britischen Abnehmer Pickwick Limited und beauftragt einen Spediteur, die Ware nach Oxford, Großbritannien zu bringen.
Lösung
Umsatzsteuerlich bewirkt Müller GmbH keine steuerfreie Ausfuhrlieferung, weil die Ware durch einen Abnehmer befördert oder versendet wird, der kein Ausländer ist (Meyer GmbH, vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 2 UStG). Zollrechtlich muss allerdings eine Ausfuhranmeldung abgegeben werden.
Praxishinweis
Unternehmen, die Waren nach Großbritannien liefern, brauchen ab dem Brexit eine EORI-Nummer, die sie beim Zoll beantragen müssen. Ohne diese Nummer können sie die notwendigen Ausfuhranmeldungen nicht erfüllen.
2.2.2 Warenlieferung aus Großbritannien nach Deutschland als Einfuhr
2.2.2.1 Grundsätzliche Abwicklung
Wenn ein britisches Unternehmen Ware aus Großbritannien zu einem Abnehmer in Deutschland befördert oder versendet, oder wenn der Abnehmer für den entsprechenden Transport verantwortlich ist, sind bei Eintreffen der Ware im Zollgebiet der EU zollrechtliche Vorschriften zu beachten. Anstelle des in der Vergangenheit beim Finanzamt in der Umsatzsteuer-Voranmeldung anzumeldenden innergemeinschaftlichen Erwerbs (vgl. § 1b UStG) tritt nunmehr die Verpflichtung, eine Einfuhrzollanmeldung abzugeben (vgl. Abschnitt 2.6.1). Dies muss der zollrechtliche Einführer beim für den Vorgang zuständigen Zollamt veranlassen. Das Zollamt erlässt nach Abschluss der vorgeschriebenen zollrechtlichen Prozesse einen Einfuhrabgabenbescheid. Der Einfuhrabgabenbescheid regelt die Erhebung der auf die Einfuhr anfallenden Einfuhrzölle, Einfuhrumsatzsteuer und eventuellen Verbrauchsteuer. Die entsprechenden Abgaben hat der Abgabenschuldner an das Zollamt zu bezahlen.
Die Veränderung der zollrechtlichen Bedingungen kann dazu führen, dass deutsche Unternehmen, die sich bisher nicht mit dem Zollrecht auseinandersetzen mussten, weil sie ausschließlich am innergemeinschaftlichen Handel teilnahmen, nunmehr gezwungen sind, eine EORI-Nummer (vgl. Abschnitt 2.3) zu beantragen und zollrechtliche Prozesse einzurichten. Hierzu kann bereits die nicht nur gelegentliche Lieferung von Waren nach Großbritannien oder der entsprechende Bezug von Waren aus Großbritannien ausreichen.
Praxishinweis
Unternehmen, die Waren aus Großbritannien empfangen, brauchen ab dem Brexit eine EORI-Nummer, die sie beim Zoll beantragen müssen. Ohne diese Nummer können sie die notwendigen Zollanmeldungen nicht abgeben.
2.2.2.2 Vorsteuerabzug
Die Einfuhrumsatzsteuer kann in ähnlicher Form wie die Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb bis zum Austritt des VK von einem unternehmerischen Abnehmer in der Umsatzsteuer-Voranmeldung als Vorsteuer abgezogen werden (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG). Dabei sind die geforderten Nachweisvorschriften zu beachten und es ist nur der Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt, der im Zeitpunkt der Einfuhr die Verfügungsmacht an der eingeführten Ware hatte (vgl. Abschnitt 15.8 UStAE). Verbrauchsteuern und Zölle führen dagegen zu einer endgültigen finanziellen Belastung. Für beide Abgabenformen ist kein Vorsteuerabzugssystem vorgesehen.
Das Abkommen zwischen dem VK und der EU regelt eine grundsätzliche Zollfreiheit für alle Waren mit Herkunft aus dem Gebiet des jeweiligen Vertragspartners. Dies gilt aber nicht, wenn die Ware aus einem ander...