Dr. Christian Schlottfeldt
Eng an die Frage der Anordnung von Überstunden lehnt sich die Frage, ob abgeleistete Überstunden gesondert zu vergüten sind. In den meisten Tarifverträgen ist ein Überstundenzuschlag für Teilzeitkräfte allenfalls dann vorgesehen, wenn sie Überstunden oder Mehrarbeit über die wöchentliche Arbeitszeit von Vollzeitkräften (tarifvertragliche Regelarbeitszeit) hinaus erbringen. Mehrleistungen von Teilzeitkräften, die sich zwischen der individuell vereinbarten Wochenarbeitszeit und dem Vollzeit-Niveau halten, sind dann für den Arbeitgeber günstiger als Mehrleistungen der Vollzeitkräfte, da Überstunden- oder Mehrarbeitszuschläge nicht anfallen.
Diese Rechtspraxis ist nach neuerer Rechtsprechung nicht ohne Weiteres mit dem Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG vereinbar. Nach Auffassung des EuGH stellt es eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten dar, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf eine zusätzliche Mehrarbeits- oder Überstundenvergütung entsteht, für Teilzeitbeschäftigte nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert wird.
Auch das BAG hatte bereits in einem früheren Fall teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge dann zuerkannt, wenn sie zwar das arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeitvolumen überschreiten, nicht aber das Arbeitszeitniveau eines Vollzeitbeschäftigten. Das BAG hielt es bei derartigen Regelungen, die lediglich einen Eingriff in den Freizeitbereich des Arbeitnehmers ausgleichen sollen, für geboten, den Schwellenwert, ab dem Mehrarbeitszuschläge gezahlt werden, für Teilzeitbeschäftigte entsprechend ihrer Vertragsarbeitszeit zu verringern.
Für den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD), in dem Überstundenzuschläge erst ab Überschreitung der Vollzeitgrenze fällig werden, hatte das BAG zuletzt hingegen eine zulässige vergütungssystematische Differenzierung der Mehrarbeitsvergütung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten gesehen.
Mit der Entscheidung des EuGH vom 19.10.2023 ist die Frage einer diskriminierungsrechtlichen Vertretbarkeit der differenzierten Gewährung von Mehrarbeits- und Überstundenzuschlägen entschieden. Nach Auffassung des EuGH folgt aus den unionsrechtlichen Vorgaben zur Diskriminierungsfreiheit von Teilzeitbeschäftigten, dass die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Teilzeitbeschäftigte und für vergleichbare Vollzeitbeschäftigte oberhalb einer einheitlichen Zahl von Arbeitsstunden eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten im Sinne des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots darstellt. Eine einheitliche Grenze für die Gewährung zusätzlicher Mehrarbeitsvergütung bedeute eine Mehrbelastung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer in Relation zur Vertragsarbeitszeit. Dies sei ein sachlich nicht gerechtfertigter Nachteil für die Teilzeitbeschäftigten.
Diese Grundsätze sind bei der Auslegung des Diskriminierungsverbots des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG zu berücksichtigen. Soweit Tarifverträge einheitliche Grenzen (in der Regel das Vollzeitarbeitszeitniveau innerhalb eines bestimmten Betrachtungszeitraums) für Mehrarbeitszuschläge festlegen, stellt dies eine unzulässige Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten dar, die unwirksam ist. Teilzeitbeschäftigte haben in diesem Fall Anspruch auf Berücksichtigung des individuellen Beschäftigungsgrades bei Festlegung eines Schwellenwerts für Mehrarbeits- und Überstundenvergütung anteilig ihrer Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers (§ 4 Abs. 1 Satz TzBfG).
In der betrieblichen Praxis können Zeitkontenregelungen dazu beitragen, Überstunden und Mehrarbeit durch ein aktives Arbeitszeitmanagement (Auf- und Abbau von Plus- und Minusstunden entsprechend den betrieblichen und ggf. mitarbeiterseitigen Belangen) zu vermeiden und damit zugleich die Arbeitsproduktivität zu steigern. Derartige Regelungen müssen eventuelle tarifvertragliche Vorgaben zu Ausgleichszeiträumen, zulässigen Saldengrenzen und arbeitszeitgesetzliche Rahmenbedingungen (insb. max. zulässiges Arbeitszeitvolumen) beachten.
Überstundenzuschlag bei Überschreitung der monatlichen Soll-Arbeitszeit
Ein Tarifvertrag gewährt Überstundenzuschlag von 25 % bei Überschreitung der durchschnittlichen monatlichen Soll-Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten. Die Wochenarbeitszeit beträgt 38 Stunden/Woche; die daraus abgeleitete durchschnittliche monatliche Soll-Arbeitszeit (Wochenarbeitszeit x 4,348) beträgt 165,22 Stunden.
Nach dem zitierten Urteil des EuGH ist diese Grenze dynamisch auf die jeweilige Soll-Arbeitszeit zu beziehen. Hat ein mit 80 % teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer eine Wochenarbeitszeit von 30,4 Stunden/Woche, so beträgt seine "Zuschlagsgrenze": 30,4 Stunden/Woche x 4,348 = 132,18 Stunden. Oberhalb dieses Werts hat auch der Teilzeitbeschäftigte Anspruch auf den Überstundenzuschlag.