rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Steuerbescheide von 1979 bis 1988
Tenor
1. Die Bescheide des Rates des Kreises …, Abteilung Finanzen, über Steuern, SV-Beiträge und andere Haushaltsbeziehungen für die Jahre 1979 bis 1987 und für das Jahr 1988 vom 11.01.1989 in Gestalt der gemeinsamen Einspruchsentscheidung des Finanzamts X-Stadt vom 10.05.1995 werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte auf der Grundlage von Art. 19 Satz 2 des Einigungsvertrages (EinigVtr) Steuerbescheide aufheben muß, die der Rat des Kreises X-Stadt im Januar 1989 für die Jahre 1979 bis 1988 erlassen hat.
Der Kläger war Bürger der DDR und war dort als selbständiger Bäckermeister tätig. In den Jahren 1976 bis 1988 betrieb er eine Bäckerei in der A-Straße 10 in X-Stadt, in demselben Hause, in dem er mit seiner Ehefrau und seinem 1970 geborenen Sohn wohnte. Er wurde beim Rat des Kreises X-Stadt, Abteilung Finanzen, unter der Steuernummer … geführt und unterlag der regelmäßigen Betriebsprüfung; darüber liegt letztmalig für das Jahr 1986 ein Nachforderungsbescheid in Gestalt eines Bescheides über Steuern, SV-Beiträge und andere Haushaltsbeziehungen vor (Blatt 209 der Steuerakte 1976-1988).
Am 12.10.1988 unternahmen der Kläger und seine Ehefrau eine bis zum Montag, 24.10.1988, genehmigte Besuchsreise in die Bundesrepublik Deutschland. Sie kehrten nicht in die DDR zurück. Der Rat des Kreises, Abteilung Öffentliche Versorgungswirtschaft und Abteilung Finanzen, sowie der Rat des Kreises, Abteilung Inneres, die Volkspolizei und die Staatsanwaltschaft des Bezirkes L… ergriffen in der Zeit vom 24.10.1988 bis 27.10.1988 Sofortmaßnahmen. Diese sind in einem „Betriebsprüfungsbericht 1978 bis 1988” vom 12.01.1989 (Blatt 162-184 der Ermittlungsakte I, Blatt 10 bis 25 der Ermittlungsakte II) angesprochen. Darin werden „Prüfungstage vom 24.10.1988 bis 12.1.1989” genannt. Textziffer 2 der „Feststellungen” lautet:
„Herr K. und seine Ehefrau sind von einem Besuch in der BRD im Oktober 1988 nicht zurückgekehrt. Durch das Ehepaar K. wurde damit eine Straftat gemäß § 213 des Strafgesetzbuches [ungesetzlicher Grenzübertritt; die sogenannte Republikflucht] begangen. Im Rahmen der damit verbundenen Hausdurchsuchung unter Beteiligung der Abt. Finanzen wurden Auffälligkeiten bezüglich eines nichtversteuerten Vermögenszuwachses bekannt. Nach einer zweiten Hausdurchsuchung durch die Ermittlungsorgane und der ergänzenden gutachterlichen Bewertung der enormen Anhäufung von Vermögenswerten wurde eine steuerliche Nachprüfung veranlaßt. In dem steuerlichen Ermittlungsverfahren und seiner Auswertung wurde der rechtliche Tatbestand, daß das Vermögen des Ehepaares K. der AO Nr. 2 vom 20.8.1958 unterliegt, berücksichtigt.”
Das steuerliche Ermittlungsverfahren wurde in den Akten des Rates des Kreises, Abteilung Finanzen, gelegentlich auch als „Ermittlungsverfahren gemäß § 204 [unrichtig § 214] der Abgabenordnung” (Blatt 73 der Verwertungsunterlagen) oder als „Ermittlungsverfahren gemäß § 176 des Strafgesetzbuches” [vorsätzliche Verkürzung von Steuern, Abgaben u. a.] bezeichnet (Blatt 18/19 der Ermittlungsakte I).
Der Rat des Kreises, Abteilung Öffentliche Versorgungswirtschaft, war bereits am 24.10.1988 von dem Ausbleiben des Klägers und seiner Ehefrau benachrichtigt worden und sorgte am Morgen des 25.10.1988 dafür, daß der Bäckereibetrieb reibungslos fortgeführt wurde. Ferner veranlaßte diese Behörde, daß eine Arbeitsgruppe der Einkaufs- und Liefergenossenschaft des Bäcker- und Müllerhandwerks in der Bäckerei eine Bestandsaufnahme der Vorräte durchführte. Die Maßnahmen erfolgten im Beisein und unter Mitwirkung der Zeugin O…, die als Bereichsleiterin der Abteilung Finanzen für die Besteuerung des Klägers zuständig war.
Die Staatsanwaltschaft des Bezirkes L… leitete gegen den Kläger und seine Ehefrau ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach § 213 StGB-DDR ein. Das Verfahren wurde später auf Grund der Amnestie vom 27.10.1989 eingestellt.
Am 26.10.1988 wurde die Zeugin O… erneut im Hause des Klägers tätig. In den Ermittlungsakten des Rates des Kreises, Abteilung Finanzen, befinden sich mehrere Aktenvermerke der Zeugin O…, in denen sie sich mit dem Vermögen des Klägers und seiner Ehefrau befaßt. Unter anderem wurde ihr bei ihrer Tätigkeit ein handschriftlicher Vertrag vom 09.10.1998 vorgelegt. Darin kaufte der Sohn des Klägers, der Zeuge T. K., der allein im Hause verblieben war, von seinen Eltern (dem Kläger und dessen Ehefrau) deren gesamtes Inventar und privates Vermögen zum Preise von 1.000 M; den Eltern sollte das lebenlange Nutzungsrecht verbleiben (Blatt 1...