Leitsatz
* Eine nach wirksamer Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung bei wiederholender Bekanntgabe derselben erteilte unzutreffende Belehrung über den Ablauf der Klagefrist eröffnet dem Adressaten die vom FA berechnete Klagefrist.
* Leitsatz nicht amtlich
Normenkette
§ 55 FGO , § 116 Abs. 6 FGO
Sachverhalt
Die Einspruchsentscheidung war einem Bevollmächtigten wirksam zugestellt worden, der die Zustellung allerdings wegen inzwischen erfolgter Mandatskündigung für unwirksam hielt und die Einspruchsentscheidung an das FA zurücksandte. Dieses übersandte sie daraufhin unter dem 29.5.2000 an den Beteiligten selbst; es wies diesen dabei in einer Kurzmitteilung auf das Datum der Bekanntgabe an seinen Bevollmächtigten hin, ferner darauf, dass die Klagefrist am 3.7.2000 ende. An diesem Tag wurde von einem neuen Bevollmächtigten die Klage erhoben.
Erst mehr als ein Jahr später berief sich der Kläger auf Wiedereinsetzungsgründe, so dass das FG seine Klage als unzulässig abwies.
Entscheidung
Der BFH hat das FG-Urteil im Beschlussverfahren (§ 116 Abs. 6 FGO) aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Er meint, die Kurzmitteilung enthalte eine "erneute Rechtsbehelfsbelehrung". Da diese falsch gewesen sei, habe entweder eine Jahresfrist für die Klageerhebung gegolten (§ 55 Abs. 2 FGO) oder allenfalls die Frist, über die das FA (falsch) belehrt habe und die der Kläger gewahrt habe.
Hinweis
1. Die Zustellung einer Verwaltungsentscheidung wie der Einspruchsentscheidung muss an den Bevollmächtigten des Beteiligten erfolgen, wenn dieser eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Der Bevollmächtigte bleibt solange Zustellungsadressat, wie der betreffenden Behörde nicht das Erlöschen der Vollmacht angezeigt worden ist. Hat ein Bevollmächtigter der Behörde eine schriftliche Vollmacht vorgelegt, so ist folglich eine an ihn gerichtete Zustellung auch dann wirksam, wenn das Mandatsverhältnis zwischenzeitlich gekündigt worden ist. Es gehört dann zu den aus dem früheren Mandatsverhältnis nachwirkenden Pflichten des Bevollmächtigten, seinen Mandanten von dem Ergehen jener Entscheidung und der durch die Zustellung in Lauf gesetzten Rechtsbehelfsfrist in Kenntnis zu setzen.
2. Die Rechtsbehelfsfrist wird allerdings durch einen Bescheid nur dann in Lauf gesetzt, wenn über sie entsprechend den gesetzlichen Anforderungen belehrt worden ist; anderenfalls setzt die Zustellung lediglich eine Jahresfrist für das Einlegen eines Rechtsbehelfs in Gang, bei deren Versäumnis allerdings nur unter sehr engen Voraussetzungen der Rechtsbehelf dennoch zulässig sein kann (vgl. § 55 Abs. 2 FGO). Ergeht eine Belehrung, die aber eine unrichtig berechnete, zu lange Frist ausweist, dürfte entgegen BFHE 56, 415 nicht diese Frist, sondern die vorgenannte Jahresfrist in Lauf gesetzt sein.
3. Die Behörde kann selbstredend die Klagefrist nicht verlängern, schon gar nicht dadurch, dass sie eine falsche Rechtsmittelbelehrung erteilt. Ist durch eine wirksam bekannt gegebene und mit einer (richtigen) Rechtsmittelbelehrung versehene Einspruchsentscheidung die Klagefrist in Lauf gesetzt worden, so kann die Behörde eine verspätet erhobene Klage nicht dadurch zulässig machen, dass sie sich zur Sache einlässt oder sogar um eine Sachentscheidung bittet. Auch wenn sie für die verspätete Klageerhebung verantwortlich ist, etwa weil sie in dem Beteiligten den Eindruck erweckt hat, entgegen der richtig erteilten Rechtsmittelbelehrung laufe die Klagefrist erst dann ab, ändert dies nichts an der Unzulässigkeit der Klage, sofern nicht Wiedereinsetzung gewährt werden kann. Das aber setzt – neben der Wahrung bestimmter Fristen (vgl. § 56 Abs. 1 und 2 FGO) – voraus, dass den Beteiligten bzw. seinen Bevollmächtigten kein eigenes Verschulden an der Fristversäumnis trifft, er also trotz der ihm erteilten Rechtsmittelbelehrung sich darauf verlassen durfte, dass die Behörde für ihn die Frist richtig berechnet hat.
4. Eine Wiedereröffnung einer bereits abgelaufenen Frist kann die Behörde freilich im Ergebnis dadurch bewirken, dass sie ihre Verwaltungsentscheidung aufhebt und einen Zweitbescheid erlässt (mag dieser auch inhaltsgleich sein). Bei der Klagefrist dürfte dies freilich nicht in Betracht kommen, weil eine Einspruchsentscheidung ein förmliches Verfahren endgültig abschließt und nicht "aufgehoben" werden kann, um in das Rechtsbehelfsverfahren gleichsam zurückzukehren.
5. Die Besprechungsentscheidung ist in diesen rechtlichen Rahmen nicht leicht einzuordnen. Sie meint, die für den Fall einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung bestehende Regelung (Jahresfrist bzw. nach BFH: unrichtig benannte Frist) entsprechend auf eine unrichtige zweite Rechtsmittelbelehrung anwenden zu können. Der BFH lässt dabei unerörtert, in welcher Weise die durch Ablauf der durch die erste Belehrung in Gang gesetzten Klagefrist bereits eingetretene Bestandskraft des Bescheids der Behörde beiseite geräumt werden soll.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 8.4.2004, VII B 181/03