a) Anfechtung der Erbausschlagung bei Irrtum über werthaltigen Nachlassgegenstand
Die irrtümliche Annahme, der Nachlass sei überschuldet, stellt nur dann einen Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB dar, wenn sie auf einer unrichtigen Vorstellung über die Zusammensetzung des Nachlasses beruht, der Erbe mithin von einer Überschuldung ausging, weil er keine Kenntnis von einem weiteren werthaltigen Nachlassgegenstand hatte.
KG v. 19.10.2023 – 6 W 31/23
BGB § 119, § 1954, § 1955, § 1957
Beraterhinweis Weil die Überschuldung des Nachlasses eine verkehrswesentliche Eigenschaft i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB ist, kann ein Irrtum hierüber zur Anfechtung einer Annahme- oder Ausschlagungserklärung berechtigen (BayObLG v. 5.7.2002 – 1Z BR 45/01, NJW 2003, 216; OLG Düsseldorf v. 5.9.2008 – 3 Wx 123/08, NJW-RR 2009, 12; OLG Rostock v. 14.9.2011 – 3 W 118/10, NJW-RR 2012, 1356; KG v. 20.2.2018 – 6 W 1/18, FamRZ 2018, 1114; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 1954 Rz. 6). Ein Anfechtungsgrund ist aber nur dann gegeben, wenn der Irrtum auf falschen Vorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses, also über das Vorhandensein von Nachlassgegenständen oder -verbindlichkeiten beruht. Nicht zur Anfechtung berechtigt ist dagegen, wer ohne nähere Kenntnis von der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen Größe unterlag und seine Entscheidung über die Annahme oder Ausschlagung auf spekulativer – bewusst ungesicherter – Grundlage getroffen hat (OLG Düsseldorf v. 17.10.2016 – 3 Wx 155/15, FamRZ 2017, 483; OLG Brandenburg v. 23.7.2019 – 3 W 55/19, ErbR 2019, 704). Ebenfalls nicht zur Anfechtung berechtigt ist, wem der Bestand des Nachlasses bei seiner Entscheidung gleichgültig war, weil diesem dann kein willensbildender Faktor zukommt (OLG Rostock v. 14.9.2011 – 3 W 118/10, NJW-RR 2012, 1356).
b) Ausschlagung durch den überlebenden Ehegatten beim Berliner Testament
Die Einreichung der ersten Ausfertigung der Ausschlagungserklärung genügt den formellen Anforderungen des § 1945 Abs. 1 Halbs. 2 BGB. Denn gem. § 47 BeurkG vertritt die Ausfertigung der Niederschrift die Urschrift im Rechtsverkehr.
§ 1944 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach die Ausschlagungsfrist bei gewillkürter Erbfolge nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht beginnt, ist zwingend. Dies gilt auch, wenn feststeht, dass der Bedachte von der letztwilligen Verfügung früher Kenntnis erlangt hat.
Enthält ein gemeinschaftliches Ehegattentestament ("Berliner Testament") keine Ersatzerbenregelung und schlägt der testamentarische Alleinerbe die Erbschaft aus, führt die ergänzende Auslegung regelmäßig dazu, dass mit der bindenden Schlusserbeneinsetzung der Kinder zugleich die Einsetzung der Kinder als Ersatzerben für den ersten Erbfall gewollt ist.
OLG Düsseldorf v. 17.7.2023 – 3 Wx 91/23
BGB § 1944, § 1945, § 2269; BeurkG § 47
Beraterhinweis Ob die Schlusserbeinsetzung der Kinder im gemeinschaftlichen Testament zugleich eine stillschweigende Einsetzung der Kinder als Ersatzerben für den ersten Erbfall beinhaltet (so OLG Stuttgart v. 16.3.1978 – 8 W 342/77, BWNotZ 1979, 11; OLG Brandenburg v. 14.2.2023 – 3 W 60/22, ZEV 2023, 308; Raff in Staudinger, BGB, § 2269 Rz. 32) oder ob mangels ausdrücklicher Ersatzerbeinsetzung dann gesetzliche Erbfolge eintritt (so OLG Hamm v. 14.3.2014 – 15 W 136/13, NJW-RR 2014, 781; Musielak in MünchKomm/BGB, § 2271 Rz. 22), ist nicht eindeutig geklärt. Praktisch bedeutsam wird die Frage, wenn der überlebende Ehegatte das ihm Zugewendete gem. § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BGB nach dem ersten Erbfall ausschlägt, um die Testierfreiheit über sein eigenes Vermögen zurückzuerlangen. Nach der sog. Opfer- oder Drucktheorie muss er in diesem Fall auch den ihm zufallenden gesetzlichen Erbteil ausschlagen, weil er sich anderenfalls ohne erhebliche wirtschaftliche Einbuße aus der erbrechtlichen Bindung befreien könnte (KG v. 24.7.1990 – 1 W 949/89, NJW-RR 1991, 330; Leiß in Soergel, BGB, § 2271 Rz. 19; Litzenburger in BeckOK/BGB, § 2271 Rz. 43). Folgt man der Auffassung, wonach im Fall einer Ausschlagung gesetzliche Erbfolge eintritt, genügt es deshalb nicht, wenn der überlebende Ehegatte nur die ihm testamentarisch zugewendete Erbschaft gem. § 1948 Abs. 1 BGB ausschlägt. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn der gesetzliche Erbteil erheblich hinter dem Zugewendeten zurückbleibt (KG v. 24.7.1990 – 1 W 949/89, NJW-RR 1991, 330).