a) Anspruch auf Wertermittlung auch nach Veräußerung eines Nachlassgegenstands
Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung gem. § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB steht nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben nach dem Erbfall veräußert wurde. (amtl.)
BGH v. 29.9.2021 – IV ZR 328/20
BGB § 2311, § 2314
Beraterhinweis Maßgeblich für die Pflichtteilsberechnung ist der Bestand und Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls (sog. Stichtagsprinzip, § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Soweit erforderlich, ist der Wert durch Schätzung zu ermitteln (§ 2311 Abs. 2 Satz 1 BGB). Weil Schätzungen mit Unsicherheiten verbunden sind, hat sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die bald nach dem Erbfall veräußert worden sind, grundsätzlich am tatsächlich erzielten Verkaufspreis zu orientieren, sofern keine außergewöhnlichen Verhältnisse vorliegen (BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131; BGH v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09, NJW 2011, 1004 = ErbStB 2011, 96 [Hartmann]; BGH v. 8.4.2015 – IV ZR 150/14, FamRZ 2015, 1023; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2311 Rz. 6). Selbst bei größerem zeitlichen Abstand zwischen Erbfall und Verkauf ist der tatsächlich erzielte Verkaufserlös maßgeblich, wenn die Marktverhältnisse seit dem Erbfall im Wesentlichen unverändert geblieben sind und auch hinsichtlich des betreffenden Gegenstandes keine wesentliche Veränderung eingetreten ist (BGH v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09, NJW 2011, 1004 = ErbStB 2011, 96 [Hartmann]). Diese Grundsätze gelten jedoch nicht für die auf Auskunft und Wertermittlung gerichtete erste Stufe einer Pflichtteilsstufenklage, sondern nur für die konkrete Berechnung des Pflichtteilsanspruchs auf der dritten Stufe. Der Wertermittlungsanspruch (§ 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB) dient gerade nicht dazu, für den Pflichtteilsberechtigten und den Erben den Wert des Nachlassgegenstands im Zeitpunkt des Erbfalls verbindlich festzulegen, sondern soll dem Pflichtteilsberechtigten die Beurteilung des Risikos eines Rechtsstreits über den Pflichtteil erleichtern (BGH v. 19.4.1989 – IVa ZR 85/88, BGHZ 107, 200; OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 1 U 249/10, ZEV 2011, 379). Dem Wertermittlungsanspruch steht deshalb auch nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben nach dem Erbfall veräußert wurde (OLG Frankfurt v. 2.5.2011 – 1 U 249/10, ZEV 2011, 379; OLG Köln v. 10.1.2014 – 1 U 56/13, ZEV 2014, 660; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2314 Rz. 14). Dies rechtfertigt sich daraus, dass dem Pflichtteilsberechtigten anderenfalls der Nachweis verwehrt oder zumindest erschwert würde, dass der Veräußerungserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht.
b) Umfang der eidesstattlichen Versicherung bei notariellem Nachlassverzeichnis
Unter den Voraussetzungen des § 260 Abs. 2 BGB ist der Erbe auch dann zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verpflichtet, wenn die Auskunft nach § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses erteilt worden ist. Die eidesstattliche Versicherung ist nicht auf die Angaben, die im Verzeichnis als solche des Erben gekennzeichnet sind, beschränkt. Hält der Erbe Ergänzungen oder Berichtigungen des notariellen Verzeichnisses für erforderlich, ist die an Eides statt zu versichernde Formel nach § 261 Abs. 1 BGB entspr. anzupassen (vgl. § 261 Abs. 1 BGB). (alle amtl.)
BGH v. 1.12.2021 – IV ZR 189/20
BGB § 260, § 261, § 2314
Beraterhinweis Der Auskunftsanspruch aus § 2314 Abs. 1 BGB ist erfüllt, wenn der auskunftspflichtige Erbe ein den formellen Anforderungen genügendes Nachlassverzeichnis vorgelegt hat. Die Erfüllung hängt nicht von der inhaltlichen Richtigkeit der Auskunft ab. Eine Ergänzung oder Berichtigung wegen angeblicher inhaltlicher Mängel kann der Pflichtteilsberechtigte deshalb grundsätzlich nicht verlangen (BGH v. 20.5.2020 – IV ZR 193/19, FamRB 2020, 367; Weidlich in Grüneberg, § 2314 Rz. 8). Vielmehr ist er in diesem Fall auf den Weg der eidesstattlichen Versicherung nach § 260 Abs. 2 BGB verwiesen.
Einen Anspruch auf Ergänzung oder Berichtigung des Nachlassverzeichnisses hat der Pflichtteilsberechtigte nur in Ausnahmefällen (BGH v. 20.5.2020 – IV ZR 193/19, FamRB 2020, 367), nämlich wenn
- eine unbestimmte Mehrheit von Gegenständen nicht aufgeführt ist,
- Angaben über den fiktiven Nachlass fehlen,
- sich der Erbe fremdes Wissen nicht verschafft hat,
- der Notar das Verzeichnis ohne eigene Ermittlungen aufgenommen hat.
Genügt das vorgelegte Nachlassverzeichnis nicht einmal den Mindestanforderungen, weil es erhebliche Unvollständigkeiten und Unzulänglichkeiten aufweist, liegt auch keine Teilerfüllung vor, so dass der Pflichtteilsberechtigte nicht nur die Ergänzung des bisherigen, sondern die Vorlage eines neuen Verzeichnisses verlangen kann (OLG Celle v. 29.10.2020 – 6 U 34/20, NJW-RR 2021, 73).
c) Kein Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Belegvorlage
Der Pflichtteilsberechtigte hat i.R.d. Auskunftsanspruchs zu Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen grundsätzlich keinen Anspruch auf Vorlage von Belegen.(amtl.)
OLG München v. 23.8.2021 – 33 U 325/21
BGB § 2...