a) Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten nach Ausschlagung
Einem Pflichtteilsberechtigten steht auch nach Ausschlagung seines Erbteils gem. § 2306 Abs. 1 BGB ein Auskunftsanspruch gem. § 2314 Abs. 1 BGB zu.
BGH v. 30.11.2022 – IV ZR 60/22
BGB § 2306, § 2314
Beraterhinweis Wenn das Gesetz dem Pflichtteilsberechtigten im Falle der Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 BGB einen Pflichtteilsanspruch einräumt, ist kein Grund erkennbar, warum ihm nicht zugleich der Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch aus § 2314 Abs. 1 BGB zustehen soll. Weil der Pflichtteilsberechtigte nach der Ausschlagung selbst keinen Zugriff auf den Nachlass mehr hat, benötigt er die Hilfsansprüche aus § 2314 Abs. 1 BGB, um sich die notwendigen Kenntnisse zur Berechnung des Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen. Seine tatsächliche Lage ist nicht mit der eines Miterben vergleichbar, sondern mit der eines pflichtteilsberechtigten Nichterben.
Einem pflichtteilsberechtigten Erben, der einen Pflichtteilsergänzungsanspruch nach §§ 2325, 2326, 2329 BGB oder einen Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB geltend machen will, stehen die Hilfsansprüche aus § 2314 Abs. 1 BGB dagegen nicht zu (BGH v. 27.6.1973 – IV ZR 50/72, BGHZ 61, 180 = NJW 1973, 1876; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2314 Rz. 3). Aufgrund seiner Erbenstellung ist er jederzeit selbst in der Lage, sich über den Bestand und Wert des Nachlasses zu unterrichten. Soweit es um ergänzungspflichtige Schenkungen geht, kann ihm im Verhältnis zum Beschenkten aber ein allgemeiner Auskunftsanspruch aus § 242 BGB zustehen (BGH v. 27.6.1973 – IV ZR 50/72, BGHZ 61, 180 = NJW 1973, 1876; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2314 Rz. 3).
Ein Pflichtteilsberechtigter, der nur mit einem Vermächtnis bedacht ist, kann Auskunft und Wertermittlung aus § 2314 Abs. 1 BGB verlangen, und zwar unabhängig davon, ob er das Vermächtnis nach § 2307 Abs. 1 Satz 1 BGB ausschlägt und ob es den Wert des Pflichtteils übersteigt (BGH v. 1.10.1958 – V ZR 53/58, BGHZ 28, 177 = NJW 1958, 1964; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2314 Rz. 3). Ist er mit einem Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils bedacht und nimmt er dieses an, soll ihm dagegen kein Anspruch aus § 2314 Abs. 1 BGB mehr zustehen, weil endgültig feststeht, dass kein Pflichtteilsanspruch besteht (OLG München v. 21.11.2022 – 33 U 2216/22, ZEV 2023, 107). In einem solchen Fall könne nur ein allgemeiner Auskunftsanspruch aus § 242 BGB bestehen, der nur auf Vorlage eines einfachen Nachlassverzeichnisses gerichtet ist (OLG München v. 21.11.2022 – 33 U 2216/22, ZEV 2023, 107).
b) Vollstreckung des Anspruchs auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses
Bei der Auskunft über den Bestand eines Nachlasses handelt es sich um eine nicht vertretbare Handlung i.S.d. § 888 Abs. 1 ZPO; dies gilt auch dann, wenn die Auskunftserteilung durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu erfolgen hat.
In Fällen, in denen die Vornahme der zu vollstreckenden Handlung von der Mitwirkung eines Dritten abhängt, ist der Schuldner verpflichtet, die Handlung des Dritten mit der gebotenen Intensität einzufordern und die ihm zustehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Dritten zur Mitwirkung zu bewegen.
OLG Köln v. 3.11.2022 – 24 W 61/22
BGB § 2314; ZPO § 888
Beraterhinweis Weil die Erfüllung des Anspruchs aus § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses nicht nur vom Willen des Erben, sondern auch von der Bereitschaft eines Notars abhängt, muss der Erbe alles rechtlich und tatsächlich in seiner Macht Stehende tun, um die Mitwirkung des Notars zu erlangen (OLG Düsseldorf v. 31.10.2016 – 7 W 67/16, NJW-RR 2017, 524; OLG Stuttgart v. 18.11.2019 – 19 W 72/18, ZEV 2020, 292; OLG Koblenz v. 1.4.2021 – 12 W 50/21, ZEV 2022, 55). Allein durch Anfrage bei mehreren Notaren genügt der auskunftspflichtige Erbe seinen Verpflichtungen nicht (OLG Düsseldorf v. 31.10.2016 – 7 W 67/16, NJW-RR 2017, 524). Bei Untätigkeit des Notars muss der Erbe entweder Untätigkeitsbeschwerde gem. § 15 Abs. 2 BNotO erheben oder einen anderen Notar beauftragen, um der Verhängung eines Zwangsgeldes zu entgehen (OLG Düsseldorf v. 31.10.2016 – 7 W 67/16, NJW-RR 2017, 524; OLG Stuttgart v. 18.11.2019 – 19 W 72/18, ZEV 2020, 292).
Neuerdings wird sogar verlangt, der Erbe müsse gleichzeitig und kumulativ
ergreifen, um auf den untätigen Notar einzuwirken (OLG Karlsruhe v. 16.2.2021 – 9 W 58/20, NJW-RR 2021, 1499).
In der Praxis wird dem Erben vom Vollstreckungsgericht im Zuge der Verhängung des Zwangsgeldes teilweise eine weitere "Schonfrist" zur Beibringung des notariellen Nachlassverzeichnisses eingeräumt, bevor das Zwangsgeld vom Gläubiger beigetrieben werden kann (OLG Koblenz v. 18.3.2014 – 2 W 495/13, NJW 2014, 1972; OLG Zweibrücken v. 22.7.2015 – 3 W 59/15).
c) Kein Fristanlauf bei Einräumung eines umfassenden Wohnungsrechts
Das dem Erblasser eingeräumte Wohnungsrecht hemmt den Beginn der Abschmelzungsfrist gem. § 2325 Abs. 3 BGB, wenn es an allen relevanten Räumen des verschenkten Hauses besteht, so dass der Erwerber insoweit keine eigene Nutzungsmöglic...