Das dem Erblasser eingeräumte Wohnungsrecht hemmt den Beginn der Abschmelzungsfrist gem. § 2325 Abs. 3 BGB, wenn es an allen relevanten Räumen des verschenkten Hauses besteht, so dass der Erwerber insoweit keine eigene Nutzungsmöglichkeit hatte.
OLG München v. 8.7.2022 – 33 U 5525/21
BGB § 2325
Beraterhinweis Eine Schenkung bleibt gem. § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB unberücksichtigt, wenn zwischen der Leistung des verschenkten Gegenstandes und dem Eintritt des Erbfalls mehr als zehn Jahre vergangen sind. Maßgeblich für den Fristbeginn ist, dass der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand – sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche – im Wesentlichen weiterhin zu nutzen (BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395 = NJW 1994, 1791).
Behält sich der Erblasser bei einer Grundstücksschenkung den uneingeschränkten Nießbrauch vor, läuft die Zehn-Jahres-Frist nicht an, weil er den Genuss des Grundstücks nicht aufgibt (BGH v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395 = NJW 1994, 1791). Gleiches gilt beim Vorbehalt eines Wohnungsrechts am gesamten Gebäude, weil der Übernehmer auch hier von der Nutzung des Grundstücks vollständig ausgeschlossen bleibt. Erstreckt sich das Wohnungsrecht dagegen nur auf einen untergeordneten Teil des Gebäudes, erleidet der Erblasser bereits mit der Grundstücksübertragung einen spürbaren Vermögensverlust, weil er nicht mehr als "Herr im Hause" anzusehen ist (BGH v. 29.6.2016 – IV ZR 474/15, BGHZ 211, 38 = NJW 2016, 2957; OLG Zweibrücken v. 1.9.2020 – 5 U 50/19, FamRZ 2021, 465; OLG Karlsruhe v. 20.9.2007 – 12 U 124/07, NJW-RR 2008, 601; Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2325 Rz. 27).
Wo die Grenze zwischen wesentlicher und unwesentlicher Nutzung für den Fristanlauf nach § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB zu ziehen ist, ist nach wie vor ungeklärt. Überwiegend wird vertreten, dass ein Nutzungsvorbehalt von mehr als 50 % den Fristanlauf hemmt (so LG Stuttgart v. 16.4.2010 – 19 O 190/09; Lange in MünchKomm/BGB, § 2325 Rz. 77; Wegmann, MittBayNot 1994, 308). Andere wollen die Grenze bereits bei 25 % oder 20 % ziehen (so Heinrich, MittRhNotK 1995, 162; Worm, RNotZ 2003, 548). Teilweise wird in Bezug auf die vom Erblasser weitergenutzten Teile einerseits und die übrigen Teile andererseits auch ein gespaltener Fristanlauf vorgeschlagen (so Weidlich in Grüneberg, BGB, § 2325 Rz. 27; N. Mayer, ZEV 1994, 329; Reiff, NJW 1995, 1137).