Leitsatz
Es ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass die Übergangsregelungen vom körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren bei einzelnen Unternehmen zu einem Verlust von KSt-Minderungspotenzial führen, der bei einer anderen Ausgestaltung des Übergangs ohne Abstriche an den gesetzgeberischen Zielen vermieden werden könnte.
Normenkette
§ 36 Abs. 3 und 4 KStG 1999, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Klägerin war eine inländische Holding-AG.
Das FA stellte auf den 31.12.2001 Besteuerungsgrundlagen gem. § 36 Abs. 7 und § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 S. 3 und § 38 Abs. 1 KStG i.d.F. des StSenkG vom 23.10.2000 gesondert fest. Dabei wurden die Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals i.S.d. § 47 KStG 1999 zum Ende des Wirtschaftsjahrs, für welches das KStG 1999 letztmalig anzuwenden ist, wie folgt festgestellt:
EK 45 |
10 591 535 DM |
EK 40 |
1 697 322 DM |
EK 01 |
36 151 DM |
EK 02 |
./. 142 039 DM |
EK 04 |
2 000 000 DM |
Nach Verringerung des Bestands an EK 45 aufgrund von Ausschüttungen i.S.d. § 36 Abs. 2 S. 1 KStG n.F. (445 107 DM) und einer Erhöhung um Einkommensteile, die mit 45 % der KSt unterlagen (2 498 DM), wurde das verbleibende EK 45 (10 148 926 DM) gem. § 36 Abs. 3 KStG n.F. in EK 40 (12 455 500 DM) und EK 02 (./. 2 306 574 DM) umgegliedert. Sodann wurde das negative EK 02 (insgesamt ./. 2 448 613 DM) zunächst i.H.v. 36 151 DM mit dem EK 01 und anschließend i.H.d. restlichen Betrags (./. 2 412 462 DM) mit dem EK 40 verrechnet. Daraus ergab sich unter Berücksichtigung einer Erhöhung des EK 40 um Einkommensteile, die mit 40 % der KSt unterlegen hatten, ein EK 40 von (14 187 292 DM ./. 2 412 462 DM =) 11 774 830 DM. Aus diesem wurde gem. § 37 Abs. 1 KStG n.F. ein verbleibendes KSt-Guthaben von 1 962 472 DM ermittelt.
Die Klage, mit der die Klägerin geltend machte, dass die vom FA angewandten gesetzlichen Regelungen gegen Art. 14 GG verstießen, blieb ohne Erfolg (FG München, Urteil vom 09.09.2004, 7 K 2991/03, Haufe-Index 1256536, EFG 2005, 141). Auch der BFH gab dem FA recht, auch er hielt die körperschaftsteuerlichen Übergangsvorschriften für verfassungskonform.
Entscheidung
Anders nun auf Verfassungsbeschwerde der Klägerin das BVerfG: Die Übergangsregelung sei in ihrer Ausgestaltung gleichheitswidrig. Der Gesetzgeber muss nun bis zum 01.01.2011 Abhilfe durch eine verfassungsfeste Neuregelung schaffen, die alle noch nicht bestandskräftigen Bescheide erfasst.
Hinweis
1. Den Übergang vom KSt-Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren gestaltete der Gesetzgeber durch §§ 36 bis 40 KStG in der Weise, dass er die unterschiedlich mit KSt belasteten Teilbeträge des Eigenkapitals in mehreren Umrechnungsschritten zusammenfasste und umgliederte. Das bisher vorhandene KSt-Minderungspotenzial wurde aus Vereinfachungsgründen in ein einheitliches KSt-Guthaben umgewandelt, das während einer Übergangszeit von ursprünglich 15 Jahren schrittweise abgebaut werden konnte. Die Umgliederungsregeln sollten nach dem Willen des Gesetzgebers sicherstellen, dass das unter Geltung des Anrechnungsverfahrens entstandene KSt-Minderungspotenzial im Ergebnis erhalten blieb und auch noch nach dem Systemwechsel verwertet werden konnte.
2. Durch Urteil vom 31.05.2005, I R 107/04 (BFH/NV 2005, 2133, BFH/PR 2005, 455) hatte der BFH entschieden, dass die körperschaftsteuerlichen Übergangsregelungen in §§ 36 ff. KStG n.F. keinen Verfassungsverstoß auslösen.
a) Im Mittelpunkt stand hierbei das Grundrecht auf Eigentum in Art. 14 GG und in diesem Zusammenhang das Vorliegen einer Enteignung infolge der gesetzlichen Reduzierung des KSt-Minderungspotenzials. Der BFH hatte eine solche Enteignung im Ergebnis verneint, dies allerdings (BFH/PR 2005, 455) mit einem vielleicht nicht allseits überzeugenden und sicherlich diskussionswürdigen Kernargument: Die besagten Pole der Gemeinwohlinteressen und der Verhältnismäßigkeit seien in concreto gewahrt, habe den einschlägigen Verkehrskreisen doch die denkbare und rechtzeitige Auswegstrategie zur Verfügung gestanden, das belastete vEK rechtzeitig "leerzuschütten". Wer das nicht getan habe, sei sozusagen selbst schuld, und wer dazu mangels Eigenkapitals zur Finanzierung von EK 45 nicht in der Lage gewesen sei, der habe eben Pech gehabt. Derartige "Nachteilsüberhänge" in Einzelfällen müssten aus Gründen der Typisierung hingenommen werden, hilfsweise lasse sich ja auch ein Billigkeitserweis in Betracht ziehen.
b) Der BFH hatte sicherlich die Nachteile seiner Argumentation gesehen. Das betrifft insbesondere das "Halten" der Verfassungsgemäßheit unter Hinweis auf den Aspekt der denkbaren Ausweichstrategie, eine Erwägung, die sich auch andernorts immer wieder als beliebt erweist:
Verwiesen sei dazu beispielsweise auf den VIII. Senat des BFH, der es soeben – im Urteil vom 22.02.2005, VIII R 89/00 (BFH/NV 2005, 1411, BFH/PR 2005, 355) – als verfassungskonform angesehen hat, dass ein Übernahmeverlust bei Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in ein Einzelunternehmen nach § 5 Abs. 4, § 6 Abs. 3 S. 3 UmwStG a.F. nicht zu berücksichtige...