Leitsatz
Übernimmt ein Unternehmer gefährlichen Abfall zum ausschließlichen Zweck der gesetzlich angeordneten Entsorgung nach einem in Anlage 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes genannten Verwertungsverfahren zur Rückgewinnung/Regenerierung von Abfällen, liegt lediglich eine vom Unternehmer erbrachte Entsorgungsdienstleistung vor. Die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes kommt mangels Lieferung des gefährlichen Abfalls an den Unternehmer nicht in Betracht. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Unternehmer einen möglichen Verkaufspreis von Stoffen, die er durch die spätere Verwertung des gefährlichen Abfalls gewinnen und wieder verkaufen kann, kalkulatorisch als Preisnachlass zugunsten der Kunden berücksichtigt.
Normenkette
§ 3 Abs. 1, Abs. 9, Abs. 12 Satz 2, § 10 Abs. 2 Satz 2 UStG, Art. 14 Abs. 1 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 3, § 7, § 22 KrWG
Sachverhalt
Die Klägerin war als Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert. Die Kunden der Klägerin setzten in ihren Betrieben Chemikalien ein, die nach dem betrieblichen Einsatz gefährliche Abfälle i.S.d. KrWG waren und die ordnungsgemäß zu entsorgen waren. Die Klägerin nahm den Kunden die verunreinigten Chemikalien zum Zwecke der Entsorgung nach einem in Anlage 2 des KrWG aufgeführten Verwertungsverfahren ab. Dazu verpflichtete sie sich gegenüber den Kunden und gab dies auch im Rahmen des Entsorgungsnachweises an. Die Klägerin löste die Verunreinigungen aus den Chemikalien in ihren Aufbereitungsanlagen heraus und entsorgte diese. Die gereinigten Chemikalien veräußerte sie als "Regenerat", falls sie in marktgängiger Qualität aufbereitet werden konnten. Es war jedoch nicht ausgeschlossen, dass im Rahmen des Reinigungsprozesses kein ausreichend reines Regenerat gewonnen werden konnte. In diesem Fall musste die Klägerin die weiterhin verunreinigten Chemikalien auf eigene Kosten thermisch entsorgen lassen. Den Preis für die Entsorgung der gefährlichen Abfälle bestimmte die Klägerin anhand des Grades der Verunreinigung, der in ihrem Betrieb erst nach dem Erhalt der verunreinigten Chemikalien durch eine Analyse festgestellt wurde. Der Entsorgungspreis variierte außerdem nach der Verwendungsart der Chemikalien im jeweiligen Betrieb des Kunden, die ebenfalls auf den Umfang der Verunreinigung schließen ließ.
Nach Auffassung von FA und FG lag ein tauschähnlicher Umsatz vor (FG München, Urteil vom 27.4.2022, 3 K 843/19, Haufe-Index).
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil des FG auf und gab der Klage statt. Die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes komme entgegen dem Urteil des FG mangels Lieferung des gefährlichen Abfalls an den Unternehmer nicht in Betracht.
Hinweis
1. Besteht das Entgelt für eine Lieferung in einer Lieferung, liegt gemäß § 3 Abs. 12 Satz 1 UStG ein Tausch vor. Besteht das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung, ist ein tauschähnlicher Umsatz gegeben (§ 3 Abs. 12 Satz 2 UStG). Auch unionsrechtlich sind Gegenleistungen in Form von Geldzahlungen und in Form von Sachleistungen gleich zu behandeln. Da die MwStSystRL hierzu keine ausdrücklichen Regelungen enthält, leitet sich dies aus den allgemeinen Grundsätzen zur Steuerbarkeit ab, sodass § 3 Abs. 12 UStG letztlich als lediglich deklaratorische Regelung anzusehen ist.
2. Ein tauschähnlicher Umsatz, bei dem eine vom Unternehmer erbrachte sonstige Leistung (auch) durch eine Lieferung vergütet wird, setzt definitionsgemäß voraus, dass an den Unternehmer eine Lieferung nach § 3 Abs. 1 UStGausgeführt wird.
3. Dies verneint der BFH in Bezug auf die Überlassung von Abfall, der wie Sondermüll einer gesetzlich vorgeschriebenen Verwertung zuzuführen ist. Die Annahme, dass dem die Entsorgungsleistung erbringenden Unternehmer die für eine Lieferung erforderliche eigentümerähnlicher Verfügungsmacht verschafft wird, kommt hier nicht in Betracht.
4. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Unternehmer aufgrund seiner Entsorgungsleistungen aus dem Sondermüll Materialen absondern kann, die veräußert werden können, und er im Hinblick auf den vermuteten Umfang dieser Materialen seine Entsorgungsleistung zu unterschiedlichen Preisen anbietet. Denn dies ändert nichts daran, dass der Unternehmer über den ihm überlassenen Gegenstand nicht frei verfügen kann, sondern diesen entsprechend den gesetzlichen Vorschriften zu entsorgen und damit zu beseitigen hat.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.4.2024 – V R 7/22