Leitsatz
Übernimmt der Arbeitgeber, der einen Paketzustelldienst betreibt, aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse die Zahlung von Verwarnungsgeldern, die gegen die bei ihm angestellten Fahrer wegen Verletzung des Halteverbots verhängt worden sind, so handelt es sich hierbei nicht um Arbeitslohn.
Normenkette
§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG , § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG , § 9 Abs. 5 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt einen Paketzustelldienst. Anlässlich einer Außenprüfung (betreffend die Jahre 1990 bis 1992) stellte das FA fest, dass die Klägerin die Zahlung von Verwarnungsgeldern (nur solche!) übernommen hatte, die gegen bei ihr beschäftigte Fahrer wegen Verletzung des Halteverbots (§ 12 StVO) verhängt worden waren. Das FA behandelte die Zahlungen als Arbeitslohn und erließ einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid gegen die Klägerin.
Hiergegen wandte sich die Klägerin u.a. mit folgenden Argumenten:
- die betroffenen Arbeitnehmer erlangten keinen nennenswerten, geldwerten (individuellen) Vorteil; der durchschnittliche Vorteil pro Fahrer sei mit 100 DM gering,
- der von ihr angebotene 24-Stunden-Paketzustellungsservice könne nur gewährleistet werden, wenn die Fahrer in unmittelbarer Nähe zu den Kunden hielten, ggf. auch in Fußgänger- oder Halteverbotszonen,
- einige Städte würden entsprechende Ausnahmegenehmigungen erteilen; andere Städte lehnten dies ab mit der Folge, dass betroffene Fahrer mit Verwarnungsgeldern belegt würden,
- sie lege entscheidenden Wert auf einen optimalen Betriebsablauf und Streckenverlauf, unabhängig davon, ob Ausnahmegenehmigungen bestünden oder nicht,
- die Übernahme der Verwarnungsgelder diene der Gleichstellung in Bezug auf solche Fahrer, denen das Halten in Verbotszonen von den Gemeinden/Städten erlaubt sei,
- die Kostenübernahme erfolge, um eine Beeinträchtigung des Betriebsklimas zu vermeiden; mit Verwarnungsgeldern belastete Fahrer würden auf Zuteilung einer günstigeren Strecke (mit Ausnahmegenehmigung) drängen,
- für das (damalige) Konkurrenzunternehmen Deutsche Bundespost bestünden günstigere Rahmenbedingungen und Sonderrechte (§ 35 StVO).
Das FG wies die Klage ab.
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hob der BFH die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt. Die Zahlungen hätten dem ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin gedient. Dass die Arbeitnehmer (Fahrer) ihrerseits die Verwarnungsgelder gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG nicht als Werbungskosten hätten geltend machen können, sei hier nicht erheblich. Ob die Klägerin ihrerseits die Zahlung der Verwarnungsgelder als Betriebsausgaben hätte abziehen können, könne offen bleiben, da ein Haftungs- und Nachforderungsbescheid zu beurteilen sei.
Hinweis
1. Übernimmt ein Arbeitgeber die Zahlung von Verwarnungsgeldern (oder sogar Geldstrafen), die einem Arbeitnehmer aus unterschiedlichsten Gründen auferlegt werden, handelt es sich i.d.R. um Arbeitslohn. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn ein Arbeitnehmer ein Verwarnungsgeld im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber auferlegt bekommt. Auch arbeitsrechtlich hat der Arbeitgeber nicht die Pflicht, dem Arbeitnehmer das Verwarnungsgeld zu erstatten, das dieser etwa wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit im Zusammenhang mit der dienstlichen Nutzung eines dienstlichen Kfz zu zahlen hat.
2. Wie der Streitfall zeigt, kann die Übernahme von Verwarnungsgeldern durch den Arbeitgeber ausnahmsweise nicht zu Arbeitslohn führen. Entscheidend ist, ob die Übernahme im eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegt. Diese Frage hat der BFH aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalls (siehe hierzu unten) bejaht.
Die Frage, ob Vorteile Lohncharakter haben oder ob sie im Hinblick auf das ganz überwiegend eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers gewährt werden, ist in der Tat häufig nicht einfach zu beantworten. Bereits in früheren Entscheidungen hat der BFH in einschlägigen Grenzfällen eine sorgfältige Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer angemahnt. Diese Wertung kann nur unter Berücksichtigung aller, den jeweiligen Einzelfall prägenden Umständen erfolgen. Hingewiesen wird insoweit z.B. auf das Urteil des VI. Senats vom 26.6.2003, VI R 112/98, BFH-PR 2003, 440 (kein Arbeitslohn bei eigenbetrieblichem Interesse des öffentlich-rechtlichen Dienstherrn an Ausbildung des Polizeianwärters).
3. Hingewiesen sei nochmals auf folgenden wichtigen Umstand: In früheren Entscheidungen hatte der BFH angedeutet, dass der zu § 12 EStG entwickelte Grundgedanke auch auf der Einnahmenseite zu beachten sei. Hiervon hat der VI. Senat insbesondere im Urteil vom 28.1.2003, VI R 48/99, BFH-PR 2003, 214 (Fest des Arbeitgebers aus Anlass des Geburtstags eines Arbeitnehmers) ausdrücklich Abstand genommen. Auch in der Besprechungsentscheidung bringt der VI. Senat eindeutig zum Ausdruck, dass § 12 Nr. 1 EStG nur auf der Ausgabenseite anzuwenden ist. Auch das einschlägige Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Nr. 8 EStG kann folglich nicht spiegelbildlich in der...