Ausgehend vom Sinn einer Schätzung, nämlich die konkreten Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, unterscheidet man grundsätzlich zwischen einer Vollschätzung und Teil- bzw. Ergänzungsschätzungen. Welche Schätzungsart im Einzelfall zutreffend ist, bestimmt sich nach den aktuellen Erkenntnissen des FA.
Bei einer Vollschätzung werden alle Besteuerungsgrundlagen einer bestimmten Periode oder einem bestimmten Zeitpunkt durch eine Schätzung ermittelt. Klassisches Beispiel ist hier eine Vollschätzung des Gewinns einer gewerblichen Tätigkeit, weil keine verwertbare Buchführung vorliegt.
Bei Teil- oder Ergänzungsschätzungen werden lediglich Teile der Bemessungsgrundlagen geschätzt. Dies dokumentiert sich i.d.R. über sog. Sicherheitszuschläge, mit denen mutmaßliche Fehlbeträge ausgeglichen werden sollen. Hierbei geht man davon aus, dass z.B. in der eigentlich schlüssigen Buchführung gewisse Betriebseinnahmen nicht erfasst wurden. Ein schwerwiegendes Indiz dafür sind Mängel in der Kassenführung bei Unternehmen, die noch bedeutende Geschäfte über Barzahlungen abwickeln (z.B. im Bereich der Gastronomie).
Im Rahmen von Außenprüfungen wird regelmäßig untersucht, wie sich die Ertragssituation eines Betriebes entwickelt hat. Erster Ansatzpunkt ist dabei häufig ein äußerer Betriebsvergleich. Dabei wird versucht, die Situation des geprüften Betriebes durch den Vergleich von Kennzahlen transparent zu machen. Diese Kennzahlen stammen regelmäßig von Vergleichsbetrieben und sind nur dann wirklich aussagekräftig, wenn eine absolute Vergleichbarkeit (Gleichartigkeit) zwischen Vergleichsbetrieb und geprüftem Betrieb besteht. Den von der Finanzverwaltung aufgestellten und allgemein veröffentlichen Richtsatzsammlungen (vgl. für 2021: BStBl. I 2022, 4) für bestimmte Gewerbebetriebe kommt lediglich eine Indizwirkung zu.
Beraterhinweis Kann die Buchführung der Besteuerung wegen gravierender Mängel nicht zugrunde gelegt werden und fehlen auch die erforderlichen Daten für eine Geldverkehrsrechnung oder eine Nachkalkulation, so kann das FA oder das FG im Rahmen seiner eigenen Schätzungsbefugnis gleichwohl eine Schätzung anhand der Richtsatzsammlung des BMF als externem Betriebsvergleich vornehmen (FG Hamburg v. 8.12.2021 – 2 K 50/20, juris). Allerdings ist diese Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt und inzwischen Gegenstand eines Revisionsverfahrens (Az: X R 23/21).
Interessanter ist hier schon der innere Betriebsvergleich, bei dem Vorjahreswerte herangezogen werden und über tabellarische Aufstellungen Unregelmäßigkeiten sichtbar gemacht werden können. Häufig wird auch das Instrument der Nachkalkulation angewandt. Beliebt bei Außenprüfern ist auch der sog. Zeitreihenvergleich oder die Quantilschätzung.
Der sog. Chi-Quadrat-Test und auch die Ziffernanalyse nach dem sog. Bedford-Gesetz stellen demgegenüber keine Schätzungsmethoden dar und sind eigentlich nur dazu geeignet, mögliche Fehler der Buchführung zu entdecken und weitere Prüfungsmaßnahmen anzuregen. Hierzu können z.B. Geldverkehrsrechnungen oder Vermögenszuwachsrechnungen gehören.
Allgemein gilt, dass die gewonnenen Schätzungsergebnisse schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein müssen (BFH v. 17.6.2020 – X R 26/18, BFH/NV 2021, 314 m.w.N.). Daher sind einerseits alle möglichen Anhaltspunkte, u.a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung, zu beachten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um im Rahmen des Zumutbaren die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln. Auf der anderen Seite ist auch das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen (BFH v. 20.3.2017 – X R 11/16, BStBl. II 2017, 992).