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Ziel der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose ist es, festzustellen, ob die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Fortführung des Unternehmens ausreicht. Dabei soll die Finanzkraft anhand von Fakten und Einschätzungen prospektiver Entwicklungen erfolgen. Im Fokus der Beurteilung stehen insbesondere Marktverhältnisse sowie Absatz- und Gewinnchancen des Unternehmens Zu einer negativen Beurteilung führen in diesem Zusammenhang etwa der Ausfall von Forderungen gegen maßgebliche Schuldner des Unternehmens, die fehlende Absicherung von Anschlussaufträgen in Ermangelung von Folgeaufträgen, der Wegfall von Großabnehmern sowie eine fortwährend negative Entwicklung des Unternehmens.
In seinem vorstehend zitierten Grundsatzurteil aus dem Jahr 1992 akzeptierte der BGH für eine positive Fortbestehensprognose sogar die Tatsache, dass Dritte bereit waren, für Kommanditanteile in Höhe von nominell 10.000 DM einen Kaufpreis von 20 Mio. DM zu zahlen und zudem verschiedene Subventionszusagen der öffentlichen Hand vorlagen, die alle auf Basis einer positiven Unternehmensentwicklung erfolgten. Offensichtlich ist daher von der Rechtsprechung eine Mehrdimensionalität gefordert, die sich auch in der inhaltlichen Ausgestaltung der Fortbestehensprognose und in der Herangehensweise zu deren Erstellung widerspiegeln muss. Konkretere Anhaltspunkte – wenn auch nur rudimentär – ergeben sich z. B. aus dem Beschluss des BGH vom 9.10.2006 zur Auslegung des Begriffs der Überschuldung in § 19 Abs. 2 InsO im Hinblick auf die Insolvenzverschleppungshaftung nach § 64 Abs. 2 GmbHG. So konstatiert der II. Senat in seinen Ausführungen: "Aus dem Gesetzeswortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO folgt außerdem zweifelsfrei, dass eine günstige Fortführungsprognose sowohl den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe als auch die objektive – grundsätzlich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept (sog. Ertrags- und Finanzplan) herzuleitende – Überlebensfähigkeit des Unternehmens voraussetzt."
Weitere Konkretisierungen zum Planungszusammenhang respektive zu den Komponenten einer aufzustellenden Fortbestehensprognose ergeben sich inzidenter nur aus einer älteren Entscheidung des BGH vom 4.12.1997, die noch im Anwendungsbereich der damals geltenden Konkursordnung erging und sich mit Fragen der inhaltlichen Ausgestaltung eines ernsthaften Sanierungsbemühens einer Schuldnerin im Vorfeld der Konkursantragstellung auseinandersetzt. Zu den notwendigen Inhalten eines schlüssigen Unternehmenssanierungskonzepts und damit auch für eine sachgerechte Unternehmensplanung stellt hier der IX. Senat des BGH heraus: "(…) Ein derartiger Sanierungsversuch setzt nämlich mindestens ein in sich schlüssiges Konzept voraus, das von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht und nicht offensichtlich undurchführbar ist. (…) Sowohl für die Frage der Erkennbarkeit der Ausgangslage als auch für die Prognose der Durchführbarkeit ist auf die Beurteilung eines unvoreingenommenen – nicht notwendigerweise unbeteiligten –, branchenkundigen Fachmanns abzustellen, dem die vorgeschriebenen oder üblichen Buchhaltungsunterlagen zeitnah vorliegen. (…) Eine solche Prüfung muss die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche analysieren und die Krisenursachen sowie die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage erfassen. Das gilt – entgegen der Auffassung der Klägerin – grundsätzlich auch für den Versuch der Sanierung eines kleinen Unternehmens, weil dabei ebenfalls Gläubiger in für sie beträchtlichem Umfange geschädigt werden können; lediglich das Ausmaß der Prüfung kann dem Umfang des Unternehmens und der verfügbaren Zeit angepasst werden." Die vom BGH festgestellten rechtlichen Erfordernisse für eine Fortbestehensprognose decken sich mit den zu berücksichtigenden betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen. Ein nachhaltiges Sanierungskonzept im Aktionsradius des Insolvenzrechts kann sich nur in einem Planungszusammenhang bewegen, der die Ergebnis- und Finanzperspektive (und beim Einsatz von Kapitalflussrechnungen auch die Bilanzperspektive) des Unternehmens sachgerecht berücksichtigt und einbezieht. Nichts anderes kann für die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose gelten. Diese mehrdimensionale Sichtweise lässt sich für Zwecke der operativen Unternehmensplanung und -steuerung auf monatliche Planzahlen herunterbrechen.