Leitsatz
1. Nimmt ein volljähriges Kind nach Erlangung eines ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine nicht unter § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG fallende Berufstätigkeit auf, erfordert § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, zwischen einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit und einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen.
2. Zwei zeitlich und inhaltlich zusammenhängende Ausbildungsabschnitte können auch dann zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden, wenn das Kind sich nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts umorientiert und seine Ausbildung anders als ursprünglich geplant fortsetzt (hier: Betriebswirtschaftsstudium statt Bankkolleg nach einer Bankausbildung).
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist Vater des im Dezember 1992 geborenen Sohnes S, der nach dem Abitur eine Ausbildung bei einer Volksbank absolvierte, die im Januar 2015 endete. Anschließend wurde S von der Volksbank als Vollzeitbeschäftigter übernommen. Die Familienkasse gewährte dem Kläger Kindergeld für S bis Januar 2015.
Bereits im April 2014 hatte S an einer Informationsveranstaltung über ein Studium am Bankkolleg des Genossenschaftsverbandes mit dem Ziel des Abschlusses als Bankfachwirt teilgenommen, dort seine E-Mail-Anschrift hinterlassen und in der Folgezeit nachgefragt, wann der Studiengang beginnen werde. Am 20.4.2015 sollte entschieden werden, ob der Studiengang startreif sei. Der Beginn verzögerte sich dann jedoch auf unbestimmte Zeit.
S bewarb sich stattdessen aufgrund einer am 27.4.2015 erhaltenen Information am 10.6.2015 für den Online-Studiengang Betriebswirtschaftslehre und nahm das Studium zum 1.9.2015 auf. Im August 2017 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Studium erneut Kindergeld, was die Familienkasse ablehnte.
Die Klage blieb ohne Erfolg. Das FG entschied, die Banklehre und das Online-Betriebswirtschaftsstudium bildeten keine einheitliche Berufsausbildung (Niedersächsisches FG, Urteil vom 9.2.2018, 5 K 277/17). Es fehle zwar nicht am zeitlichen Zusammenhang zwischen Lehre und Studium. Der Wechsel des Ausbildungsplanes nach Beendigung der Banklehre – BWL-Studium statt Bankkolleg – bilde aber eine Zäsur, die die beiden Ausbildungsabschnitte Banklehre und Studium voneinander trenne; die Teilnahme an beiden Ausbildungsgängen beruhe nicht auf einem einheitlichen Entschluss. Es handele sich um eine erhebliche Abweichung des tatsächlich realisierten vom ursprünglich geplanten Ausbildungsgang, denn das BWL-Studium sei wesentlich breiter ausgelegt als die Ausbildung zum Bankfachwirt und weniger branchenbezogen.
Entscheidung
Die Revision des Klägers war begründet; sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Im zweiten Rechtsgang wird das FG zu prüfen haben, ob das Studium eher dem Beschäftigungsverhältnis untergeordnet war oder umgekehrt das Beschäftigungsverhältnis dem Studium; diese Würdigung ist dem BFH als Revisionsgericht versagt.
Hinweis
1. Der BFH hatte mit Urteil (BFH, Urteil vom 11.12.2018, III R 26/18, BFH/NV 2019, 465, BFH/PR 2019, 128) seine bisherige Rechtsprechung zum Umfang der Erstausbildung korrigiert, nach deren Abschluss eine Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden die Berücksichtigung als Kind ausschließt. Neben dem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang ist danach für eine Verknüpfung der beiden Ausbildungsabschnitte erforderlich, dass sich die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nicht als eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen; eine bereits aufgenommene Erwerbstätigkeit darf bei einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse nicht die hauptsächliche Tätigkeit bilden.
2. Das Besprechungsurteil zählt zu den Folgeentscheidungen dieses Urteils. Das FG hatte die Zusammenfassung von Lehre und Studium zu einer mehraktigen Erstausbildung im Streitfall abgelehnt, weil das Kind sich nach Beendigung einer Banklehre umorientiert hatte und statt des beabsichtigten Studiums am genossenschaftlichen Bankkolleg ein Online-BWL-Studium begonnen hatte. Dieser Wechsel des Ausbildungsplanes bilde eine Zäsur, die die beiden Ausbildungsabschnitte Banklehre und Studium voneinander trenne.
Dem ist der BFH entgegengetreten: Eine Umorientierung ist unschädlich. Dadurch wird eine Benachteiligung derjenigen Kinder vermieden, die ihr Ausbildungsziel aus organisatorischen Gründen ändern (z.B.: Studiengang findet nicht statt, oder: Zulassung zum Wunschstudium nur an einer entfernten unliebsamen Universität, deshalb Aufnahme eines anderen Studiums am Heimatort) oder – z.B. aufgrund des guten oder schlechten Ergebnisses des ersten Abschnitts – ihre Ziele weiter stecken oder zurücknehmen (Hochschulstudium statt Fachschule) oder ein anderes Studienfach mit einfacheren oder höheren Zulassungsvoraussetzungen wählen (z.B. Biologie statt Medizin oder umgekehrt). Die vom FG thematisierte Wesentlichkeit der Abweichung der Ausbildu...