Leitsatz
Vor Ergehen des EuGH-Urteils "Karlheinz Fischer" vom 11.6.1998, Rs. C-283/95 (Slg. 1998, I-3369, UR 1998, 384) war unklar, inwieweit Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL die Besteuerung von Glücksspielen verbietet. Ein sich nach den Urteilen Karlheinz Fischer und Linneweber/Akritidis (EuGH, Urteil vom 17.2.2005, Rs. C-453/02, C-462/03, Linneweber/ Akritidis, Beilage zu BFH/NV 2005, 94) möglicherweise ergebender Schadenersatzanspruch könnte allenfalls die Schäden abdecken, die nach Ergehen dieser Urteile durch die – möglicherweise gemeinschaftsrechtswidrige – Aufrechterhaltung der Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG entstanden sind.
Normenkette
§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG , Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL
Sachverhalt
Der Kläger, ein Glücksspielunternehmen, hatte gegen den USt-Bescheid für 1992 – nicht aber gegen die Vorauszahlungsbescheide – unter Hinweis auf das Verfahren in der "Karlheinz Fischer" vor dem EuGH Einspruch eingelegt. Das FA hob den Bescheid nach Ergehen des Urteils auf und erließ die wegen Nichtzahlung der Umsatzsteuervorauszahlungen festgesetzten Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen, aber nicht für die Zeit bis zur Einspruchseinlegung.
Entscheidung
Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg; der Erlass der allein streitigen Säumniszuschläge bis zum Ergehen des Urteils "Karlheinz Fischer" war weder unter dem Gesichtspunkt Schadenersatz noch unter dem der sachlichen Unbilligkeit geboten, Letzteres auch deswegen nicht, weil der Kläger die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide nicht angefochten hatte.
Hinweis
Die Besprechungsentscheidung betrifft die Folgen der beiden EuGH-Urteile zu Glücksspielumsätzen – hier den Erlass von Säumniszuschlägen.
Ein Erlass von Säumniszuschlägen gem. § 227 Abs. 1 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, weil der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Dagegen rechtfertigen Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands einer steuerrechtlichen Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, keinen Erlass aus Billigkeitsgründen.
Fraglich war, ob die Erhebung von Säumniszuschlägen deshalb sachlich unbillig war, weil der vom Kläger angefochtene Umsatzsteuerbescheid nach dem Urteil "Karlheinz Fischer" aufgehoben worden war.
Unbillig wäre deren Einziehung, wenn dem Kläger ein Schadenersatzanspruch gegen den Fiskus zustünde. Allein daraus, dass eine Regelung der 6. EG-RL unmittelbare Wirkung in dem Sinn hat, dass sich ein Steuerpflichtiger vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern, folgt jedoch noch kein Schadenersatzanspruch gegen den Fiskus.
Das Gemeinschaftsrecht erkennt einen Entschädigungsanspruch an, sofern drei Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem dem Geschädigten entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang.
- Bei der Frage, ob ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt, sind alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen.
- Zu diesen Gesichtspunkten gehören u.a. das Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift, die Vorsätzlichkeit des Verstoßes und die Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums; ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist jedenfalls dann hinreichend qualifiziert, wenn die fragliche Entscheidung die einschlägige Rechtsprechung des EuGH offenkundig verkennt (vgl. EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-224/01, Köbler, Slg. 2003, I-10239, Rdnrn. 54 bis 56).
Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf Glücksspielumsätze jedenfalls bis zum Ergehen des EuGH-Urteils "Karlheinz Fischer" nicht erfüllt, denn die Vorgaben in Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL waren nämlich vor Ergehen dieses EuGH-Urteils nicht eindeutig.
Zu der Richtlinienregelung in Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL hat der EuGH im Urteil "Karlheinz Fischer" entschieden, dass ein Mitgliedstaat die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glücksspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist. Im Urteil "Linneweber/Akritidis" hat er dies dahingehend präzisiert, dass diese Vorschrift dahin auszulegen ist, "dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt", und weit...