Umsatzsteuerbefreiung schließt grundsätzlich das Vorsteuerabzugsrecht aus Eingangsleistungen aus: Art. 135 Abs. 1 b) bis g) MwStSystRL regelt, dass zahlreiche Bank- und Finanzumsätze von der Umsatzsteuer befreit sind. Diese Umsatzsteuerbefreiung schließt jedoch zugleich grundsätzlich das Recht auf Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen aus. Hintergrund für die Steuerbefreiung von Finanzumsätzen sind ausweislich der Rechtsprechung des EuGH zum einen Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlagen sowie zum anderen das gesetzgeberische Ziel, die Kosten von Verbraucherkrediten nicht durch die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
Möglichkeit zur Option: Unionsrechtlich ist weiterhin in Art. 137 Abs. 1 a) MwStSystRL vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten das Recht haben, Steuerpflichtigen zu gestatten, auf die Steuerbefreiung zu verzichten und Finanzumsätze der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Die Modalitäten der Optionsausübung sind aber grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen. Positive Wirkung des Verzichts auf die Steuerbefreiung ist, dass dann der Vorsteuerabzug des leistenden Unternehmers ermöglicht wird. Damit wird die notwendige Neutralität des Mehrwertsteuersystems wiederhergestellt. Ist der Empfänger der Finanzumsätze selbst ein zum Vorsteuerabzug berechtigter Unternehmer, führt der Verzicht auf die Steuerbefreiung nicht zu höheren Kosten.
Nur wenige Mitgliedstaaten der EU haben dieses in Art. 137 Abs. 1 a) MwStSystRL vorgesehene Recht, auf die Steuerbefreiung von Finanzumsätzen zu verzichten, umgesetzt. Teilweise haben diese Staaten abweichend vom deutschen Ansatz das Verzichtsrecht nur für einige wenige Umsatzarten zugelassen oder sogar nur in Form einer Globaloption, d.h., ein Unternehmer ist gezwungen, für alle Finanzumsätze gegenüber allen Unternehmern auf die Steuerbefreiung zu verzichten.
Die zitierte Entscheidung des EuGH in "Morgan Stanley & Co. International" bestätigt, dass ein Steuerpflichtiger (konkret ging es um eine Zweigniederlassung desselben Steuerpflichtigen) berechtigt ist, den Vorsteuerabzug aus in einem Staat bezogenen Leistungen geltend zu machen, wenn diese für in einem anderen Staat kraft Verzichts steuerpflichtige Leistungen verwendet werden – vorausgesetzt, eine solche Steuerpflicht durch Verzicht wäre auch im Staat des Leistungsbezuges möglich gewesen.
Denkbare Behinderung der Niederlassungsfreiheit und Freiheit des Kapital- und Dienstleistungsverkehrs und Verstoß gg. Neutralitätsprinzip: Dieser Ansatz überzeugt nicht vollumfänglich. Ist nämlich ein Umsatz im Staat des Leistungseinkaufs zwingend steuerfrei, kommt dann kein Vorsteuerabzug in Betracht, obwohl der Umsatz in steuerpflichtige Ausgangsumsätze einfließt. Dies behindert die nach dem primären Unionsrecht gebotene Niederlassungsfreiheit und Freiheit des Kapital- und Dienstleistungsverkehrs und verstößt wahrscheinlich gegen das Neutralitätsprinzip. Es geht auch nicht um ungerechtfertigte Steuervorteile oder Nachteile für einen der Fiszi. Hätte der Steuerpflichtige die Vorleistung im Staat der Dienstleistungserbringung eingekauft, wäre ihm der volle Vorsteuerabzug möglich. Ebenso ist kein Sachgrund erkennbar, weshalb der Einkaufsstaat berechtigt sein soll, die entstandene Mehrwertsteuer in diesem Fall zu behalten. Schließlich wäre einem nichtansässigen Steuerpflichtigen vermutlich die Vorsteuer zu vergüten.
Drittlandsprivileg: Es ist im Übrigen interessant, dass sowohl im Unionsrecht (Art. 169 c) MwStSystRL) als auch in § 15 Abs. 3 Nr. 2 b) UStG ein sog. Drittlandsprivileg enthalten ist. Die Vorschrift bewirkt, dass ein Unternehmer, der grundsätzlich steuerfreie Finanzumsätze an Leistungsempfänger außerhalb des Unionsgebiets bewirkt, zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Rechtshistorischer Hintergrund dieser Regelung ist, dass bei Einführung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in der EWG 1968 nur sehr wenige Staaten entsprechende Steuern erhoben. Damit wurde ein Wettbewerbsnachteil für in Europa ansässige Finanzunternehmen im Vergleich zu solchen an konkurrierenden Standorten vor allem in den USA, Großbritannien oder Fernost gesehen. Aus heutiger Sicht muss die Regelung durchaus kritisch gesehen werden, denn mit Ausnahme der USA haben inzwischen fast alle wichtigen Staaten Mehrwertsteuersysteme eingeführt, die teilweise in der Besteuerung noch sehr viel weitergehen als in der EU.
Der Unionsgesetzgeber bzw. die Europäische Kommission haben schließlich bereits vor vielen Jahren erkannt, dass das aktuelle System der Besteuerung von Finanzumsätzen einer Reform bedarf. Eines der identifizierten Probleme besteht im fehlenden Vorsteuerabzugsrecht aufgrund der sog. unechten Steuerbefreiung. Leider konnte die geplante Reform jedoch nie umgesetzt werden. Ein erster Vorschlag wurde kontrovers diskutiert und schließlich nicht mehr weiterverfolgt. Allerdings wurde das Reformvorhaben nie formell endgültig beendet.