OFD Frankfurt, Verfügung v. 23.1.2007, S 7177 A - 12 - St 112
1. Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG
1.1 Entwicklung der Gesetzesvorschrift
Nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG sind steuerfrei die Umsätze folgender Einrichtungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der Gemeindeverbände: Theater, Orchester, Kammermusikensembles, Chöre, Museen, botanische Gärten, zoologische Gärten, Tierparks, Archive, Büchereien sowie Denkmäler der Bau- und Gartenbaukunst. Das Gleiche gilt für die Umsätze gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen erfüllen.
Die Einbeziehung „anderer Unternehmer” in die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG mit dem UStG 1967 verfolgt den Zweck, die Wettbewerbsneutralität zwischen den Einrichtungen der Gebietskörperschaften und den gleichartigen Einrichtungen anderer Unternehmer zu gewährleisten (Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags vom 30.3.1967).
Aus dem bis 31.12.1979 gültigen Wortlaut des Gesetzes („wenn durch eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nachgewiesen wird”) war zunächst ein Wahlrecht des Unternehmers gefolgert worden.
Mit dem seit 1.1.1980 geltenden Gesetzeswortlaut („wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt”) wurde klargestellt, dass die Einschaltung der für die Erteilung der Bescheinigung zuständigen Landesbehörde nicht an die Person des Unternehmers gebunden ist.
Für den Unternehmer besteht deshalb keine Möglichkeit, auf die Steuerbefreiung seiner Umsätze durch Nichtvorlage der Bescheinigung zu verzichten. Damit wird – dem Zweck der Vorschrift entsprechend – verhindert, dass der Unternehmer ungerechtfertigte Steuervorteile gegenüber Unternehmern i.S.d. § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG erlangt.
1.2 Rechtsprechung zur Problematik „kein Wahlrecht”
1.2.1 FG München, Urteil vom 20.9.1993, 14 K 3507/89, UR 1994 S. 358
Das FG München hat diese Erwägungen mit diesem Urteil bestätigt und in seinen Entscheidungsgründen Folgendes ausgeführt:
„Die mit der Regelung (des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG) beabsichtigte Gleichbehandlung der Umsätze der Einrichtungen der Gebietskörperschaften mit den gleichartigen Einrichtungen anderer Unternehmer würde nicht erreicht, wenn § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG anderen Unternehmern die Möglichkeit eröffnen würde, durch die Nichtvorlage der Bescheinigung Steuervorteile im Wege des Vorsteuerabzugs gegenüber den Unternehmen der Gebietskörperschaften zu erlangen.
…
Nach Art. 13 Teil C der 6. EG-Richtlinie ist die grundsätzlich gegebene Möglichkeit, auf die Steuerbefreiung bestimmter Umsätze zu verzichten, für kulturelle Dienstleistungen (vgl. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der 6. EG-Richtlinie) nicht vorgesehen. Der deutsche Gesetzgeber hat auch nicht von der in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie enthaltenen Übergangsregelung Gebrauch gemacht, wonach für eine bestimmte, in den Streitjahren noch nicht abgelaufene Zeit u.a. kulturelle Dienstleistungen weiterhin besteuert werden können. Da dementsprechend die Umsätze des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG nicht in § 9 UStG aufgeführt sind, ist ein Verzicht auf die Steuerfreiheit der Leistungen … unzulässig.”
1.2.2 BFH-Urteil vom 24.9.1998, V R 3/98, BStBl 1999 II S. 147
In diesem Urteil hat der BFH unter Bezug auf das Urteil des FG München vom 20.9.1993, 14 K 3507/89, UR 1994 S. 358, diese Ausführungen ebenfalls bestätigt und darauf verwiesen, dass eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG nicht zur Disposition des Steuerpflichtigen steht. Weiter führte er aus:
„Diese (in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 beschriebenen gleichartigen) Unternehmer sollen mit ihren Umsätzen nicht mit Steuer belastet werden, aber auch nicht berechtigt sein, die damit zusammenhängenden Vorsteuern abzuziehen. Eine „Gestaltung”, mit Hilfe einer „nachträglich” erwirkten Bescheinigung, Umsätze zunächst (mit dem ermäßigten Steuersatz) der Besteuerung zu unterwerfen, solange höhere Vorsteuerbeträge vorhanden sind, ermöglicht die Vorschrift nicht. Das Umsatzsteuergesetz bietet auch keine Rechtsgrundlage dafür, Umsätze erst vom Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung (während eines Jahres) als steuerfrei zu behandeln.”
1.2.3 BVerwG, Urteil vom 4.5.2006, 10 C 10.05
In diesem Verfahren hat das BVerwG die Revision der Klägerin – einer Museumsbetreiberin – zurückgewiesen und folgende Leitsätze formuliert:
- „Die Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG durch die zuständige Kultusbehörde setzt nicht einen Antrag des Unternehmers voraus.
- Wird die Bescheinigungsbehörde durch das Ersuchen des Finanzamts um entsprechende Prüfung in das Besteuerungsverfahren eingebunden, verbleibt ihr kein Handlungsermessen. Die Bescheinigung ist vielmehr zwingend zu erteilen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG vorliegen.”
Die gegen diese Entscheidung des BVerwG beim BVerfG eingelegte Verfassungsbeschwerde 1 BvR...