Kommentar
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des dänischen Vorlagegerichts ging es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen bestimmte Leistungen, die üblicherweise durch Rechenzentren von Banken erbracht werden, von der Umsatzsteuer befreit sind. Bei den Leistungen handelte es sich hauptsächlich um die Durchführung von Zahlungsvorgängen wie z.B. Zinsberechnungen, Zahlungs- und Überweisungsverkehr und Leistungen, die die Wertpapierberatung und Verwaltung von Depots betreffen. Die Leistungen des Rechenzentrums entsprachen weitgehend dem, was größere dänische Kreditinstitute von ihren hauseigenen Rechenzentren durchführen lassen. Die beklagte Steuerbehörde lehnt eine Steuerbefreiung dieser Umsätze im wesentlichen mit der Begründung ab,
- es handele sich um reine Datenverarbeitungs- bzw. Informationsvermittlungsleistungen,
- nur die von einem Geldinstitut selbst für seine Kunden erbrachten Leistungen könnten umsatzsteuerfrei sein,
- in der Umsatzbesteuerung des Rechenzentrums liege kein Wettbewerbsnachteil, weil Artikel 6 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie den Mitgliedstaaten das Recht verschaffe, auch Dienstleistungen hauseigener Rechenzentren als Innenumsätze zu besteuern.
Das Rechenzentrum machte geltend, ein großer Teil seiner Leistungen stelle Bank-, Sparkassen- sowie Finanzierungstätigkeiten dar und sei mit den Leistungen, die andere Geldinstitute unmittelbar – steuerfrei – gegenüber ihren Kunden erbringen, vergleichbar.
In seinem ungewöhnlich ausführlich begründeten Urteil hat der EuGH entschieden, die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil B Buchst. d Nrn. 3 – 5 der 6. EG-Richtlinie (Finanzdienstleistungen im Zahlungs- und Überweisungsverkehr und im Aktien- und Wertpapierhandel)
- hängt nicht von einem bestimmten Unternehmenstyp oder der Art und Weise der Umsätze (z.B. im Wege der EDV) ab,
- hängt nicht davon ab, daß die Leistung unmittelbar gegenüber den Kunden einer Bank erbracht wird,
- gilt auch für die von einem Rechenzentrum bewirkten Umsätze, wenn diese einen eigenständigen Charakter haben und für die steuerbefreiten Finanzdienstleistungen spezifisch und wesentlich sind,
- gilt nicht für Leistungen, mit denen Banken und anderen Kunden finanzwirtschaftliche Informationen zur Verfügung gestellt werden,
- bleibt unberührt, wenn die Leistung durch einen Dritten in Rechnung gestellt wird.
Der EuGH hebt mit seiner Entscheidung in erster Linie auf den objektiven Charakter von Artikel 13 Teil B Buchst. d Nrn. 3 – 5 der 6. EG-Richtlinie ab, wo allgemein von Umsätzen die Rede ist, während in Artikel 13 Teil B Buchst. d Nrn. 1 und 2 auf das Subjekt abgestellt wird, nämlich auf die Kreditgeber.
Mit diesem Ansatz folgt der Gerichtshof auch nicht der Auffassung der Europäischen Kommission, die als Voraussetzung einer steuerbefreiten Finanzdienstleistung einen Vertrag zwischen dem Leistungserbringer und dem Bankkunden für notwendig hielt. Dieser Ansatz wird nach Auffassung des EuGH dem Richtlinienwortlaut nicht gerecht, auch wenn Steuerbefreiungen nach Artikel 13 der 6. EG-Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung eng auszulegen sind.
Nach dem Urteil ist allerdings nicht jede Leistung eines Rechenzentrums eine Finanzdienstleistung. Es genügt nicht, daß ein Rechenzentrum partiell, zusammen mit anderen Wirtschaftsteilnehmern an einer Finanzdienstleistung beteiligt ist. Bezüglich eines Umsatzes im Überweisungsverkehr müssen die erbrachten Dienstleistungen wenigstens eine Übertragung von Geldern bewirken und zu rechtlichen und finanziellen Änderungen führen. Leistungen in Form der Datenverarbeitung können nach dem Urteil also nur dann steuerfrei sein, wenn sie im Zusammenhang mit steuerbefreiten Finanzdienstleistungen erbracht werden und inhaltlich die spezifischen Funktionen einer Finanzdienstleistung erfüllen und nicht lediglich die technischen Voraussetzungen für einen Überweisungs- oder Zahlungsvorgang schaffen. Im Einzelfall ist es Sache des nationalen Gerichts zu beurteilen, ob die von einem Rechenzentrum bewirkten Umsätze einen solchen eigenständigen Finanzdienstleistungscharakter haben.
Die wichtigste Erkenntnis aus dem Urteil ist, daß es für die Steuerbefreiung nicht darauf ankommt, ob der Unternehmer, der eine Leistung im Zahlungsverkehr erbringt, selbst als Kreditinstitut in den Überweisungs- oder Zahlungsvorgang eingebunden ist. Eine Umsatzsteuerbefreiung kann im Einzelfall also nicht nur das Kreditinstitut des Zahlenden und das Kreditinstitut des Zahlungsempfängers, sondern gegebenenfalls auch ein zwischengeschaltetes Rechenzentrum in Anspruch nehmen.
Das Urteil dürfte für das deutsche Umsatzsteuerrecht zu keinen Änderungen führen. Die Steuerbefreiungen nach Artikel 13 Teil B Buchst. d Nrn. 3 -5 der 6. EG-Richtlinie sind in § 4 Nr. 8 Buchst. b – f UStG in nationales Recht umgesetzt worden. Nach diesen Bestimmungen ist unerheblich, wer die Leistungen subjektiv (Kreditinstitute oder andere Unternehmer) bewirkt.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 05.06.1997, C-2/95