Eine Bruttopreisabrede liegt vor, wenn ein Endpreis ohne weitergehende Hinweise zur Umsatzsteuer vereinbart wird. Üblicherweise bedeutet dies eine Entgeltvereinbarung "inkl. Mehrwertsteuer". Die Umsatzsteuer bei einer Bruttoentgeltvereinbarung ist unselbstständiger Entgeltbestandteil und wird nicht Gegenstand eines separaten Vertragsanspruches. In diesem Fall ist die Vereinbarung der Parteien dahingehend auszulegen, dass der Leistende – unabhängig davon, ob der Umsatz steuerpflichtig ist oder welchem Steuersatz er unterfällt – vom Leistungsempfänger allein das vereinbarte Gesamtentgelt verlangen kann. Jegliche Umsatzsteuer – unabhängig von der zutreffenden Höhe – ist vom Leistenden zu tragen. Das Risiko, die Umsatzsteuer richtig berechnet zu haben, trägt der Leistungserbringer.
Dies führt dazu, dass – wenn der Preis vom Leistenden unter der Annahme der Umsatzsteuerfreiheit bzw. der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes kalkuliert worden ist – bei tatsächlicher Pflicht zur Entrichtung von (höherer) Umsatzsteuer, dem Leistenden ein wirtschaftlicher Schaden in Höhe jenes Umsatzsteuer(mehr-)betrages entsteht. Umgekehrt entsteht dem Leistungsempfänger ein wirtschaftlicher Schaden, wenn die Parteien bei der Kalkulation des Preises von der Umsatzsteuerpflicht bzw. der Anwendung des Regelsteuersatzes ausgingen, tatsächlich aber ein Steuerbefreiungs- bzw. ein Ausnahmetatbestand aus § 12 Abs. 2 UStG zur Anwendung kommt. Der Leistungsempfänger hat den wirtschaftlichen Schaden, da er einen zu hohen Umsatzsteuerbetrag gezahlt hat. Dieser verstärkt sich dadurch, dass ihm kein Vorsteuerabzug zusteht, auch wenn er grundsätzlich vorsteuerabzugsberechtigt ist (s. dazu unter IV.3.).
Ausnahmsweise werden Rückforderungsansprüche nur zugelassen, wenn die Parteien übereinstimmend von einer falschen umsatzsteuerrechtlichen Bewertung ausgegangen sind. Bei solchen – beiderseitigen – Irrtümern bei der Preiskalkulation liegt eine Vertragslücke vor, die im Wege im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu füllen ist. Angenommen hat der BGH eine solche Ausnahme etwa für den Fall, dass die Parteien aufgrund von Anweisungen der Finanzverwaltungen von der Steuerpflicht einer Leistung übereinstimmend ausgehen, aber nachträglich festgestellt wird, dass die Lieferungen tatsächlich als umsatzsteuerfrei einzuordnen sind.
Da keine eindeutige Aussage der Finanzverwaltung über den anwendbaren Umsatzsteuersatz bei der Leistungserbringung eines Referenten gegenüber einem Veranstalter von Online-Seminaren vorliegt, wird es zur Beurteilung von Rückforderungsansprüchen bei getroffenen Bruttopreisabreden auf den jeweiligen Einzelfall ankommen. Im Regelfall wird aber davon auszugehen sein, dass keine zivilrechtliche Rückzahlungsverpflichtung des Vortragenden besteht.