Leitsatz
Betreuungsleistungen einer juristischen Person sind unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL steuerfrei, wenn ihr die Erlaubnis zum Betrieb einer Einrichtung zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen nach § 45 SGB VIII erteilt wurde und die Kosten für diese Leistungen über einen Träger der freien Jugendhilfe abgerechnet und damit mittelbar von öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe gezahlt werden.
Normenkette
§ 4 Nr. 25 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. h EG-RL 112/2006, § 45, § 75 SGB VIII
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine juristische Person in der Rechtsform einer GmbH, die nach ihrem Gesellschaftszweck ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt. Diese Zwecke bestehen u.a. in der Förderung der Jugend in Bildung und Erziehung sowie der Jugendhilfe nach §§ 27 ff. des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG).
Die Klägerin erbrachte Betreuungsleistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – (SGB VIII). Die für entsprechende Einrichtungen (Wohnheime) erforderlichen Betriebserlaubnisse waren ihr gemäß § 45 SGB VIII erteilt worden. Die für ihre Betreuungsleistungen geschuldeten Entgelte stellte die Klägerin der – als Trägerin der freien Jugendhilfe nach § 75 i.V.m. § 45 SGB VIII anerkannten – GbR in Rechnung. Diese rechnete die unter Einschaltung der Klägerin erbrachten Leistungen mit den öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe ab. Das Finanzamt sah die Leistungen der Klägerin als steuerpflichtig an. Die Klage zum Finanzgericht hatte keinen Erfolg (FG Köln, Urteil vom 22.10.2014, 4 K 2056/11, Haufe-Index 7536612, EFG 2015, 164).
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil des Finanzgerichts auf und gab der Klage statt. Das Finanzgericht hat zwar eine Steuerfreiheit der Betreuungsleistungen nach nationalem Recht zutreffend abgelehnt. Die Klägerin sei jedoch als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt, sodass die von ihr erbrachten Betreuungsleistungen nach Unionsrecht steuerfrei seien.
Hinweis
1. Leistungen der Jugendhilfe sind gemäß § 4 Nr. 25 Buchst. a Doppelbuchst. aa UStG in der ab 2008 geltenden Fassung steuerfrei, wenn der Unternehmer über eine Erlaubnis zur Kinder- und Jugendbetreuung nach § 45 SGB VIII verfügt.
Die Steuerfreiheit setzte zuvor voraus, dass der Unternehmer ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder ein förderungswürdiger Träger der freien Jugendhilfe ist. Zudem war die Steuerfreiheit inhaltlich auf bestimmte Leistungen beschränkt und erfasste nicht allgemein Betreuungsleistungen.
2. Eine weitergehende Steuerfreiheit als nach dem bis 2007 geltenden nationalen Recht kann sich aus dem Unionsrecht ergeben.
a) Steuerfrei sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL"eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen".
Diese Bestimmung knüpft an leistungs- und personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen handeln und der leistende Unternehmer muss als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt sein.
b) Der Betrieb eines Wohnheims, in dem psychisch und seelisch kranke Kinder und Jugendliche untergebracht sind und behandelt werden, ist eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbunden.
c) Für die Frage der Anerkennung ist zu berücksichtigen, dass die Richtlinie die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung nicht festlegt. Vielmehr ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaates, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu diesen gehören das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit (EuGH, Urteil vom 15.11.2012, C–174/11, Zimmermann, EU:C:2012:716, Rz. 31).
Danach kann sich die für die Steuerfreiheit erforderliche Anerkennung aus spezifischen Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit, aus einer Tätigkeit im Gemeinwohlinteresse sowie aus einer (mittelbaren) Kostenübernahme ergeben.
Für eine Anerkennung spricht dabei insbesondere die Erteilung einer Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII, wie sich auch aus d...