Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Leistungen eines Vereins der freien Wohlfahrtspflege, die u. a. in der Einrichtung und dem Betrieb einer Notrufleitzentrale und einem Fahrdienstbetrieb bestehen, sind nach § 4 Nr. 18 UStG, alternativ nach Unionsrecht, umsatzsteuerfrei.
Sachverhalt
Bei dem Kläger handelt es sich um einen eingetragenen Verein. Gestritten wurde darüber, ob die vom Kläger im Jahre 1993 entsprechend seiner satzungsgemäß wahrgenommenen Mitwirkung am ärztlichen Notfalldienst erbrachten Leistungen als steuerfrei gemäß § 4 Nr. 18 UStG oder nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilen sind. Der Verein hatte mit der kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo) eine Vereinbarung, nach der er als Erfüllungsgehilfe der KVNo diverse Leistungen zur Durchführung des ärztlichen Notdienstes (insbesondere Fahrdienstbetrieb) zu erbringen hatte.
Das Finanzamt wollte § 4 Nr. 18 UStG nicht anwenden, da es auf die Fahrdienstleistung als solche ankäme und diese nicht unmittelbar dem nach Satzung des Vereins begünstigten Personenkreis, also vor allem Kranken-, Pflege- und Hilfsbedürftigen oder in Not leidenden Personen zugute komme, sondern der KVNo als unmittelbare Empfängerin der erbrachten Leistungen.
Entscheidung
Die Klage vor dem Finanzgericht hatte Erfolg. Der Verein kann sich bezüglich seiner im ärztlichen Notdienst erbrachten Umsätze sowohl auf die Steuerfreiheit des § 4 Nr. 18 UStG als auch unmittelbar auf Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie berufen. Bei dem Kläger handelte sich um einen "amtlich anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege" im Sinne des § 4 Nr. 18 UStG in Verbindung mit § 23 UStDV. Das Gericht folgt der Entscheidung des BFH v. 15.9.2011, V R 16/11, wonach die Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 Buchst. b UStG, dass die Leistungen unmittelbar dem begünstigten Personenkreis zugute gekommen sein müssen, unabhängig von der Frage zu klären ist, wer Vertragspartner der Wohlfahrtseinrichtung geworden ist. Die Steuerfreiheit der Leistungen im Rahmen der Beteiligung am ärztlichen Notdienst ist dem Verein auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das sogenannte "Preisabstandsgebot" des § 4 Nr. 18 Buchst. c UStG zu versagen. Der insoweit geforderte Preisvergleich setzt nämlich voraus, dass nach Art und Umfang gleichartige Leistungen entsprechender Erwerbsunternehmen festzustellen sind. Dem Gericht ist indes kein Fall bekannt, in dem ein Erwerbsunternehmen, welches seine Umsätze nach kaufmännischen Grundsätzen kalkuliert, gleiche Leistungen, wie die des Vereins anbietet.
Schließlich sind die Umsätze des Vereins aus seiner Beteiligung am ärztlichen Notdienst auch deshalb steuerbefreit zu belassen, weil sich dieser zu Recht unmittelbar auf Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie beruft. Danach haben die Mitgliedsstaaten bestimmte eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen bestimmter Einrichtungen von der Umsatzsteuer zu befreien.
Hinweis
Die umsatzsteuerliche Behandlung von Rettungsdienstleistungen bzw. der Beteiligung am ärztlichen Notdienst ist nach wie vor nicht zweifelsfrei geklärt (zur Verwaltungsauffassung im Bundesland Hessen vgl. OFD Frankfurt v. 25.7.2011, StEd 2011 S. 634). Nach der Entscheidung des BFH v. 15.9.2011, V R 16/11 dürfte klar sein, dass die Voraussetzungen der Unmittelbarkeit (vgl. § 4 Nr. 18 Buchst. b UStG) unabhängig von der Frage zu klären sind, wer Vertragspartner des leistenden Unternehmers geworden ist. Allerdings hat das Finanzgericht selbst darauf hingewiesen, dass seine Rechtsauffassung zum Merkmal der Unmittelbarkeit möglicherweise im Widerspruch zu der BFH-Rechtsprechung (vgl. Urteil v. 1.12.2010, XI R 46/08) stehen könnte. Deswegen wurde die Revision folgerichtig zugelassen (BFH: V R 13/12).
Entgegen seiner früheren Entscheidung in gleicher Angelegenheit - betreffend die Jahre 1989 bis 1992 - (vgl. Urteil v. 24.10.2001, 5 K 3/97 U) hat das Finanzgericht nun klar gestellt, dass die Tätigkeit des klagenden Vereins nicht mit der Beauftragung von Taxiunternehmen unter Einschaltung einer Taxizentrale zu vergleichen ist. Es nahm Bezug auf eine Entscheidung des OVG Münster v. 11.3.1998, 25 A 2400/96, wonach die Tätigkeit des klagenden Vereins der Förderung des Wohlfahrtswesens und des öffentlichen Gesundheitswesens dient und deshalb auch der Einsatz von Zivildienstleistenden im Rahmen des ärztlichen Notdienstes durch § 1 ZDG gedeckt sei. Bereits deshalb gehe der Vergleich mit einem Taxiunternehmen fehl.
Für die Praxis zeigt das Urteil wieder einmal überdeutlich, dass selbst dann, wenn einzelne Voraussetzungen von nationalen Steuerbefreiungen womöglich nicht erfüllt sein sollten, es dem Steuerpflichtigen natürlich offen steht, sich auf übergeordnetes Unionsrecht zu beziehen, sofern danach bestimmte Umsätze von der Umsatzsteuer auszunehmen sind.
Link zur Entscheidung
FG Düsseldorf, Urteil vom 22.02.2012, 5 K 3717/09 U