Leitsatz
1. Die organisatorische Eingliederung einer GmbH im Rahmen einer Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) kann sich daraus ergeben, dass der Geschäftsführer der GmbH leitender Mitarbeiter des Organträgers ist, der Organträger über ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der GmbH verfügt und zur Bestellung und Abberufung des GmbH-Geschäftsführers berechtigt ist.
2. Offen bleibt, ob an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten ist, nach der es für die organisatorische Eingliederung ausreicht, dass bei der Organgesellschaft eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung ausgeschlossen ist.
Normenkette
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1993/1999, Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-RL
Sachverhalt
An der Klägerin waren die M-GmbH zu 51 % und RH zu 49 % beteiligt und entsprechend stimmberechtigt. Alleingeschäftsführer der Klägerin war RH; Geschäftsführer der M-GmbH waren BF und HH. Ergänzend war vereinbart, für "normale" Geschäfte einfache Stimmenmehrheit sowie die Gewinnabführung an und Verlustübernahme durch die M-GmbH sowie die Verpflichtung der Klägerin, ihre Geschäfte nach den Weisungen der M-GmbH zu führen. Zusätzlich eine "einheitliche Gestaltungsrichtlinie" ("Konzernrichtlinie") und insbesondere für den Wareneinkauf wöchentliche Berichtspflichten.
Entscheidung
Im Besprechungsfall lag die organisatorische Eingliederung nicht vor. Zwar war der einzige Geschäftsführer zum Prokuristen der M-GmbH bestellt worden. Nach den besonderen Verhältnissen konnte der Organträger seinen Willen gegenüber ihrem Prokuristen deswegen nicht durchsetzen, weil RH als Gründungsgesellschafter der Klägerin nach deren Satzung – und damit entgegen § 46 Nr. 5 GmbHG – nicht gegen seinen Willen als Geschäftsführer der Klägerin durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung abberufen werden konnte. Die Abberufung aus wichtigem Grund ist für die Beurteilung der Voraussetzungen einer Organschaft unerheblich, weil die Beherrschung der laufenden Geschäftsführung maßgeblich ist.
Der BFH ließ offen, ob an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten ist, nach der sich die organisatorische Eingliederung – ohne Möglichkeit zur Willensdurchsetzung – auch daraus ergeben kann, dass eine vom Organträger abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft ausgeschlossen ist (sog. Pattsituation). Dagegen spricht die – auch unionsrechtliche – "Eingliederungs"-Voraussetzung (Vorinstanz: FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.1.2010, 3 K 361/03, Haufe-Index 2530530, EFG 2011, 586).
Hinweis
Die Eingliederungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG dienen der Feststellung, ob das für die Organschaft erforderliche Über- und Unterordnungsverhältnis vorliegt, das zur Verschmelzung zu nur einem einzigen Steuerpflichtigen führt.
1. Finanzielle Beteiligung verlangt, dass der Organträger seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung durchsetzen kann. Für die wirtschaftliche Eingliederung müssen die Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft miteinander verflochten sein und jedenfalls nicht unwesentliche Leistungen vom Organträger an das Organ oder umgekehrt vorliegen.
2. Organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass die aufgrund der finanziellen Eingliederung mögliche Beherrschung der Tochtergesellschaft im "Tagesgeschäft" durch die Art und Weise der Geschäftsführung durchgesetzt werden kann. Das ist bei Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen der beiden Gesellschaften der Fall, kann sich aber auch aus einer (teilweisen) personellen Verflechtung über diese Geschäftsführungsorgane ergeben, wenn dem Organträger eine Willensdurchsetzung "im Tagesgeschäft" der Organgesellschaft möglich ist. Bei Einzelvertretung in der Organ-GmbH reicht es aus, dass zumindest einer von ihnen auch Geschäftsführer der Organträger-GmbH ist und der Organträger über ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der Organ-GmbH verfügt. Die personelle Verflechtung kann auch darin bestehen, dass der oder die Geschäftsführer der Organgesellschaft leitende Mitarbeiter des Organträgers sind.
3. Unbeachtlich sind nach der Rechtsprechung das mit der finanziellen Eingliederung einhergehende Weisungsrecht durch Gesellschafterbeschluss, die vertragliche Pflicht zur regelmäßigen – selbst täglichen – Berichterstattung über die Geschäftsführung, die organisatorische Eingliederung sowie das Recht zur Bestellung oder Abberufung von Geschäftsführern ohne weitergehende personelle Verflechtung über das Geschäftsführungsorgan. Auch Zustimmungsvorbehalte zugunsten der Gesellschafterversammlung (z.B. aufgrund einer Geschäftsführungsordnung) sind als bloße Verpflichtung zur Einholung von Weisungen unbeachtlich.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 7.7.2011 – V R 53/10