Zwei (Einfuhr-)Fernverkäufe: Würden die (fingierten) Lieferungen von H an M und von M an die EV nun, entsprechend den oben dargestellten Überlegungen des BFH unter III.1., genauso behandelt wie die Lieferungen von H an EV ohne das "Hinzutreten" des M (bei dieser Lieferung würde es sich um einen Fernverkauf i.S.d. Art. 14 Abs. 4 Nr. 2 MwStSystRL handeln), käme es zu einem merkwürdigen Ergebnis. Im Grunde genommen wären dann nämlich beide Lieferungen als Fernverkäufe i.S.d. Art. 14 Abs. 4 Nr. 2 MwStSystRL anzusehen.
Lieferort beider Lieferungen im Zielland: Beide Lieferungen gälten daher gem. Art. 33 Buchst. b und c MwStSystRL dort als ausgeführt, wo sich die Waren am Ende des Transports befinden (im Fall der Einfuhr im MS der Beendigung des Transports gälte das allerdings nur, wenn "die Mehrwertsteuer auf diese Gegenstände gemäß der Sonderregelung nach Titel XII Kapitel 6 Abschnitt 4 zu erklären ist", also im Rahmen der "Einfuhrregelung" i.S.d. Art. 57a Nr. 3 MwStDVO).
Doppelte (ggf. einheitliche) Nutzung des IOSS: Sind beide Lieferungen als Fernverkäufe anzusehen, müsste beiden Lieferanten gestattet werden, die Umsätze im Rahmen der "Einfuhrregelung" anzumelden. Zumindest ergibt sich aus den Art. 369l ff. MwStSystRL kein Anhaltspunkt dafür, dass einer der beiden Lieferanten diese Regelung nicht anwenden dürfte. Zu überlegen wäre dann ggf., ob nicht die "Gleichbehandlung beider Lieferungen mit der Lieferung von H an die EV ohne Kommissionärsstruktur" (s. oben III.1.) erfordern würde, dass beide Beteiligte (also H und M) einheitlich entweder die Einfuhrregelung anwenden oder nicht.
Art. 36b MwStSystRL würde leerlaufen: Insbesondere würde sich die Frage stellen, warum – wenn der Lieferort für beide Lieferungen feststünde (Ort der Beendigung des Transports) – Art. 36b MwStSystRL festlegt, dass die Versendung oder Beförderung der Gegenstände der Lieferung durch den M zugeschrieben wird. Da Art. 36b MwStSystRL dem Ziel dient festzustellen, welcher der beiden Lieferanten im Fall des Art. 14a MwStSystRL als derjenige gilt, der die Waren befördert oder versendet – welcher der beiden also einen Fernverkauf ausführt –, wäre diese Vorschrift überflüssig. Schließlich wäre durch die Fiktion schon festgelegt, dass beide Lieferanten einen Fernverkauf tätigen.
Allenfalls könnte Art. 36b MwStSystRL dann noch dem Zweck dienen klarzustellen, welcher der Beteiligten ggf. die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen darf (wenn die Voraussetzungen des Art. 143 Abs. 1 Buchst. ca MwStSystRL nicht erfüllt würden). Dann wäre allerdings unter systematischen Gesichtspunkten zu fragen, warum Art. 36b MwStSystRL in Titel V, Kapitel 1 der MwStSystRL ("Ort der Lieferung von Gegenständen") angesiedelt wurde.
Fraglich, ob Lieferort gem. Art. 33 Buchst. c MwStSystRL beurteilt werden kann: Würde in den Fällen des Art. 33 Buchst. c MwStSystRL (Einfuhr im MS der Beendigung des Transports) lediglich M oder lediglich H die Einfuhrregelung nutzen (die Nutzung ist nicht verpflichtend), würde sich die Frage stellen, ob "die Mehrwertsteuer auf diese Gegenstände gemäß der Sonderregelung nach Titel XII Kapitel 6 Abschnitt 4" erklärt würde. Mit Blick auf die eine Lieferung wäre das zu bejahen, mit Blick auf die andere Lieferung nicht. Es wäre also unklar, ob die Voraussetzungen des Art. 33 Buchst. c MwStSystRL erfüllt wären oder nicht.
Fraglich, ob Einfuhr steuerfrei: Eine entsprechende Frage würde sich mit Blick auf die Einfuhr der Waren stellen. Diese ist gem. Art. 143 Abs. 1 Buchst. ca MwStSystRL steuerfrei, wenn "die Mehrwertsteuer im Rahmen der Sonderregelung gemäß Titel XII Kapitel 6 Abschnitt 4 zu erklären ist". Außerdem muss bei der Einfuhr die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer vorgelegt werden, die dem Lieferer gem. Art. 369q MwStSystRL für die Anwendung der Einfuhrregelung zugeteilt worden ist (IOSS-Nummer). Würden beide Lieferungen aufgrund der Fiktion des Art. 28 MwStSystRL gleichbehandelt, würde sich die Frage stellen, ob das die Nummer des H oder des M wäre und was gelten würde, wenn nur einer der beiden Gebrauch von der Einfuhrregelung macht.