Lt. BFH soll die Belastung nicht vom Vertriebsweg abhängen: Der XI. Senat führt in seinem Vorlagebeschluss zwar, wie oben (s. III.1.) dargestellt, aus, dass (nur) mit einer identischen Behandlung beider Umsätze sichergestellt werde, dass die steuerliche Belastung einer Leistung (Steuerbarkeit in einem MS, Steuerpflicht bzw. -freiheit) nicht vom Vertriebsweg abhinge.
Aus dem MwSt-Recht folgt kein "Gleichbehandlungsgebot": Woraus sich allerdings ergeben soll, dass das Mehrwertsteuerrecht stets eine identische Belastung der Beteiligten verlangt (unabhängig davon, in welcher Organisation oder Struktur die Lieferungen oder Leistungen vertrieben und erbracht werden), ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss nicht. Aus den mehrwertsteuerlichen Regelungen oder Prinzipien geht das jedenfalls nicht hervor. Die steuerliche Belastung von Umsätzen kann durchaus, abhängig von der Gestaltung und den Sachverhaltsumständen, unterschiedlich sein.
Freie Wahl der Organisation: Zwar verbietet der Grundsatz der steuerlichen Neutralität es insbesondere, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt werden. Das hindert die Steuerpflichtigen aber nicht daran, ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten unterschiedlich zu organisieren. Im Gegenteil sind Steuerpflichtige frei darin, für ihre wirtschaftliche Tätigkeit die Organisationsform zu wählen, die zu der geringsten Steuerlast führt. Es steht jedermann frei, Gestaltungen zu wählen, die eine möglichst geringe Steuerbelastung nach sich ziehen.
Unterschiedliche Belastung ist kein Widerspruch zum Grundsatz der Neutralität: Der Neutralitätsgrundsatz steht also einer unterschiedlichen Behandlung nicht entgegen, wenn wirtschaftliche Tätigkeiten unterschiedlich organisiert sind. Transaktionen müssen also in keiner Weise stets zum gleichen wirtschaftlichen Ergebnis führen. Das einfachste Beispiel ist, dass der Verkauf einer Bratwurst – je nachdem unter welchen Umständen er erfolgt – mal dem vollen Steuersatz (Verzehr an Ort und Stelle) und mal dem reduzierten (take away) unterfallen kann.
Bsp. Opernkarten: So auch, wenn z.B. der V beim Erwerb der Opernkarten nicht als Kommissionär handelt, sondern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ein Kontingent kauft, um diese Karten dann (nach Möglichkeit mit Gewinn) an potentielle Opernbesucher zu verkaufen. Dann dürfte außer Frage stehen, dass er nicht als Opernveranstalter handelt. Seine Leistung unterliegt vielmehr – wenn nicht andere Steuerbefreiungen eingreifen – der deutschen MwSt.
Bsp. Opernkarten als Pauschalreise: Es ist sogar möglich, dass der V z.B. ein niederländischer Reiseveranstalter ist, der die Opernkarten kauft, um diese dann, samt Bustransport und Übernachtung, an ein in Maastricht ansässiges Unternehmen zu verkaufen, das hiermit für seine Belegschaft einen Betriebsausflug inkl. Opernaufführung in Aachen veranstaltet. Dann wird der "Verkauf der Opernkarten" zum Teil einer einheitlichen Reiseleistung i.S.d. Art. 306 ff. MwStSystRL, die in den Niederlanden ausgeführt wird und auf die die Margenbesteuerung anwendbar ist.
Ebenso bei Leistungsver-/-einkauf über "Mittelsmänner": Genauso macht es einen Unterschied, ob der Dienstleister seine Dienstleistungen direkt an die Endkunden erbringt, oder ob er sie über einen Kommissionär erbringen lässt. Die unterschiedliche Ausgestaltung des Vertriebsweges darf durchaus zu unterschiedlichen mehrwertsteuerrechtlichen Ergebnissen führen. Im Ergebnis können also Dienstleistungen je nach Vertriebsweg unterschiedlich zu behandeln sein.