1. Vorlagebeschluss des BFH
Der BFH hat dem EuGH mit Beschluss vom 23.8.2023 u.a. die Frage vorgelegt, ob sich im Fall einer Leistungskommission gem. Art. 28 MwStSystRL (§ 3 Abs. 11 UStG) der Ort der (fingierten) Leistung des Kommittenten an den Kommissionär, der als Unternehmer in einem anderen Mitgliedstaat (MS) ansässig ist, nach Art. 44 MwStSystRL richte oder nach Art. 45 MwStSystRL.
2. Sachverhalt
Dieser Frage lag (verkürzt) der folgende Sachverhalt zugrunde:
a) Ursprüngliche Erklärungen
Vertrieb über Appstore: Die Klägerin A, eine in Deutschland ansässige Steuerpflichtige, entwickelt und vertreibt Spiele-Apps für mobile Endgeräte. In den Streitjahren (2012 bis 2014) vertrieb sie die Spiele über eine (digitale) Vertriebsplattform, die von der in Irland ansässigen B betrieben wurde. Kunden waren (fast ausschließlich) Endverbraucher (EV). Diese luden die Spiele über den von B betriebenen Appstore auf ihre mobilen Endgeräte herunter und konnten nachfolgend sog. In-App-Käufe tätigen, um im Spielgeschehen voranzukommen oder andere Vorteile zu erlangen. Es handelte sich hierbei um elektronisch erbrachte Dienstleistungen.
"Vermittlermodell": A nahm zunächst – entsprechend den zivilrechtlichen Vereinbarungen – an, dass B die Umsätze vermittelte, d.h. dass A den EV die Spiele-Apps zur Verfügung stellte und die In-App-Verkäufe an die EV tätigte, während B eine Vermittlungsleistung an A erbrachte. A stellte den in der EU ansässigen EV dementsprechend deutsche MwSt in Rechnung (für elektronisch erbrachte Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige in der EU richtete sich der Leistungsort bis zum 31.12.2014 nach Art. 45 MwStSystRL, § 3a Abs. 1 UStG) und führte sie an die deutschen Steuerbehörden ab. Außerdem ging A davon aus, dass sie für die von B erbrachte Vermittlungsleistung die Steuer gem. § 13b Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 UStG schulde, und meldete diese Steuer entsprechend an.
b) Geänderte Erklärungen
"Kommissionärsmodell": Später, im Jahr 2016, kam A zu einer geänderten Rechtsauffassung und nahm nun an, dass B die Umsätze im eigenen Namen für Rechnung der A (also als "Kommissionär") an die EV erbracht hatte, d.h. dass mehrwertsteuerlich eine Dienstleistungskommission (§ 3 Abs. 11 UStG, Art. 28 MwStSystRL) vorgelegen habe. Bei den In-App-Verkäufen habe A demnach (elektronische) Leistungen an B (Leistungsort gem. Art. 44 MwStSystRL, § 3a Abs. 2 UStG) erbracht und B ebensolche Leistungen an die EV.
Korrekturen: A passte daher ihre Steuererklärungen für die Streitjahre an, indem sie die ursprünglich darin erklärten Verkäufe an die Endkunden in der EU nicht mehr als steuerpflichtige Inlandsumsätze erklärte und auch die Versteuerung der von B bezogenen Vermittlungsleistungen strich. Streitig ist nun, was richtig ist.
3. Vorlagefragen
Fraglich, ob Kommissionärsstruktur vorlag: Der BFH ist sich für die Streitjahre nicht sicher, ob tatsächlich eine Kommissionsstruktur vorlag. Daher fragte er den EuGH zunächst, ob in der vorliegenden Situation Art. 28 MwStSystRL zur Anwendung komme (wie A es in den korrigierten Erklärungen im Jahr 2016 angenommen hatte). Diese Frage wird im Folgenden nicht weiter behandelt.
Rechtsfolgen einer Kommissionärsstruktur: Sollte Art. 28 MwStSystRL anwendbar sein – hiervon wird im Folgenden ausgegangen –, ist für den BFH zweifelhaft, nach welchen Vorschriften sich der Leistungsort für die Leistung von A an B richtet. Etwas genereller kann man es auch so umschreiben, dass der BFH wissen will, was konkret die Rechtsfolgen von Art. 14 Abs. 2 Buchst. c und Art. 28 MwStSystRL (§ 3 Abs. 3 bzw. Abs. 11 UStG) sind. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich nach unserem Dafürhalten aus den zugrunde liegenden Vorschriften. Das soll im Folgenden aufgezeigt werden.