Leitsatz
1. Ist Art. 2 VO 1360/2013 dahingehend auszulegen, dass ein Zuckerhersteller seinen Antrag auf Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben bis zum 30.09.2014 hätte stellen müssen?
2. Falls die erste Frage zu verneinen ist: Ist die zuständige Behörde in einem Fall wie dem vorliegenden (unionsrechtswidrig, aber bestandskräftig festgesetzte Abgaben, deren Erstattung erst ein Jahr nach rückwirkender Festsetzung eines geringeren Koeffizienten durch die VO 1360/2013 beantragt wurde) berechtigt, die Erstattung zu Unrecht erhobener Produktionsabgaben unter Berufung auf die nationalen Vorschriften über die Bestandskraft und auf die für Abgabenbescheide nach den nationalen Vorschriften geltende Festsetzungsfrist sowie auf den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit abzulehnen?
Normenkette
Art. 2 VO (EU) 1360/2013, § 169 Abs. 1 Satz 1 AO
Sachverhalt
Die Klägerin ist ein Zucker erzeugendes Unternehmen und war als solches aufgrund einer EU-Verordnung (Nr. 1837/2002) für das streitgegenständliche Wirtschaftsjahr 2001/2002 verpflichtet, Produktionsabgaben zu zahlen, die als Eigenmittel an die Europäische Kommission abgeführt wurden. Das HZA setzte gegen die Klägerin diese Abgaben mit Bescheid vom 25.11.2002 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest.
Am 18.12.2014 beantragte die Klägerin beim HZA, die Festsetzung der Produktionsabgaben für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 zu ändern und ihr eine Produktionsabgabe von … EUR nebst 0,5 % Zinsen pro Monat seit dem Zeitpunkt der Zahlung der Abgabe zu erstatten. Zur Begründung verwies sie auf die Verordnung (EU) Nr. 1360/2013 des Rates vom 2.12.2013 zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre 2001/2002, 2002/2003, 2003/2004, 2004/2005 und 2005/2006, des Koeffizienten für die Berechnung der Ergänzungsabgabe für die Wirtschaftsjahre 2001/2002 und 2004/2005 und der Beträge, die die Zuckerhersteller den Zuckerrübenverkäufern für die Differenz zwischen dem Höchstbetrag der Abgaben und dem Betrag dieser für die Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2003/2004 und 2005/2006 zu erhebenden Abgaben zu zahlen haben. Diesen Antrag lehnte das HZA unter Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheids über die Festsetzung der Produktionsabgaben vom 25.11.2002 ab.
Einspruchsverfahren und Klage blieben erfolglos. Das FG urteilte, der Änderung stehe die Bestandskraft des Bescheids und der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen (FG Düsseldorf, Urteil vom 20.10.2017, 4 K 1955/16 VZr). Die rückwirkende Festsetzung eines geringeren Koeffizienten durch die VO (EU) 1360/2013 habe keine unmittelbaren Auswirkungen auf einen ergangenen Abgabenbescheid. Denn die VO (EU) 1360/2013 enthalte keine Vorschriften für die Änderung ergangener Abgabenbescheide, diese richte sich vielmehr nach einzelstaatlichem Recht.
Entscheidung
Der BFH hat das Verfahren ausgesetzt und die im Tenor genannten Fragen dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.
Hinweis
Der Streitfall betrifft Grundfragen des Verhältnisses von Unionsrecht und nationalem Recht. Vordergründig geht es um Produktionsabgaben auf Zucker. Der Zuckermarkt wies von allen Agrarmärkten in der Vergangenheit die stärkste Marktreglementierung auf. Die entsprechenden Regelungen sind und waren in verschiedenen Verordnungen enthalten. Für das Streitjahr 2001/2002 galt die VO (EU) 1837/2002, die im Jahr 2013 durch die VO (EU) 1360/2013 geändert wurde. Die Klägerin begehrte nun auf Grundlage der neuen VO eine Erstattung der aus ihrer Sicht zu viel gezahlten Abgaben. Allerdings waren die entsprechenden Bescheide längst bestandskräftig.
Der Erwägungsgrund 23 der VO (EU) 1360/2013 lautet:
"Aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Gewährleistung der Gleichbehandlung der betreffenden Marktteilnehmer in den Mitgliedstaaten ist ein gemeinsamer Zeitpunkt festzulegen, zu dem die gemäß der vorliegenden Verordnung festgesetzten Abgaben … festzustellen sind. Diese Frist sollte allerdings nicht gelten, wenn die Mitgliedstaaten nach nationalem Recht zur Erstattung an den betreffenden Marktteilnehmer nach diesem gemeinsamen Zeitpunkt verpflichtet sind."
1. Wie genau die rückwirkende Änderung der Berechnungsmodalitäten für die Produktionsabgaben umgesetzt werden sollte, ist unionsrechtlich nicht geregelt. Die VO (EU) 1360/2013 enthält keine Rechtsgrundlage für die Änderung bereits erfolgter Festsetzungen von Produktionsabgaben bzw. für deren Erstattung. Zwar sind Verordnungen nach Art. 288 Abs. 2 AEUV verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Daraus lässt sich jedoch kein unionsrechtlicher Anspruch auf Neufestsetzung der Abgaben und auf Auszahlung zu Unrecht erhobener Beträge herleiten. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, in welchen Fällen oder unter welchen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen eine rückwirkende Korrektur durchzuführen wäre.
2. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG sind auf Abgaben zu Marktordnungszwecken, die nach Regelungen i.S.d. § 1 Abs. 2 MOG hinsichtlich Marktordnungswaren erhoben werden – wie im Streitfall –, grundsätzlich die Vorschriften...