Lockerung der bisher restriktiven Verwaltungsauffassung für sog. Blockerwerbe
[Ohne Titel]
StB Dipl.-Finw. Wilfried Apitz
Durch das Gesetz vom 21.3.2013 (BGBl. I 2013, 561) zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20.10.2011 in der Rs. C – 284/09 = GmbH-StB 2011, 355 (sog. EuGH-Umsetzungsgesetz) wurde in § 8b Abs. 4 KStG eine Steuerpflicht für Erträge aus Beteiligungen kleiner 10 % (Streubesitz) eingeführt. Für die Frage, ob eine mindestens 10%ige Beteiligung erworben wurde, ist dabei auf die Beteiligungshöhe zu Beginn des Kalenderjahres abzustellen. Nach § 8b Abs. 4 S. 6 KStG gilt für Zwecke der Streubesitzregelung der Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 % als zu Beginn des Kalenderjahres erfolgt. Die Rückbeziehung eines Erwerbs im laufenden Kalenderjahr auf den Beginn des Kalenderjahres nach § 8b Abs. 4 S. 6 KStG gilt nach bisheriger Verwaltungsauffassung ausschließlich für den Erwerb eines Anteilspaketes von mindestens 10 % durch einen einzelnen Erwerbsvorgang. Dieses Verständnis der Regelung führt dazu, dass die Vorschrift des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG keine Auswirkung auf die Behandlung von Anteilen, die zum Beginn des Kalenderjahres bereits bestehen, hat und auch nicht anzuwenden ist, wenn im laufenden Kalenderjahr durch verschiedene Erwerbsvorgänge jeweils Anteile von weniger als 10 % erworben werden, die Erwerbe insgesamt aber die Grenze von 10 % erreichen.
Der BFH hat dazu mit Urteil v. 6.9.2023 – I R 16/21, GmbHR 2024, 384 (Binnewies) = GmbH-StB 2024, 40 (Schimmele) klargestellt, dass § 8b Abs. 4 S. 6 KStG auch bei mehraktigem unterjährigem Erwerb (sog. Blockerwerb) anwendbar ist. Der vorliegende Beitrag erläutert die enge Auslegung der Vorschrift durch die Finanzverwaltung und zeigt den ersten zugelassenen Ausnahmefall durch den BFH auf.
1. Allgemeine Grundsätze
Keine Steuerbefreiung: Die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 KStG ist ausgeschlossen, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals beträgt. Ist ein Grund- oder Stammkapital nicht vorhanden, ist nach § 8b Abs. 4 S. 2 KStG die Beteiligung am Vermögen, bei Genossenschaften am Geschäftsguthaben maßgebend.
Beraterhinweis Der BFH hat mit Urteil v. 18.12.2019 – I R 29/17 bestätigt, dass die Vorschrift des § 8b Abs. 4 KStG nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und damit verfassungsgemäß ist.
Herstellung einer unionsrechtskonformen Rechtslage: Die Norm durchbricht zwar – im Sinne einer nicht folgerichtigen Ausgestaltung – die in § 8b Abs. 1 KStG zum Ausdruck kommende Grundentscheidung des Gesetzgebers, im System des Teileinkünfteverfahrens
- erwirtschaftete Gewinne nur einmal bei der erwirtschaftenden Körperschaft mit Körperschaftsteuer und erst bei der Ausschüttung an natürliche Personen als Anteilseigner mit Einkommensteuer zu belasten und
- deswegen – zur Vermeidung von Kumulations- oder Kaskadeneffekten in Beteiligungsketten – Bezüge innerhalb gesellschaftlicher Beteiligungsstrukturen bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz zu lassen.
Beachten Sie: Allerdings erfüllt die Norm auch die (strengeren) verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen qualifizierten Fiskalzweck, soweit sie sinngemäß der Herstellung einer unionsrechtskonformen Rechtslage zur Abgrenzung der Besteuerungshoheiten betroffener Staaten dient – auch, wenn im Gesetzgebungsverfahren die Haushaltskonsolidierung im Vordergrund gestanden haben mag.
2. Bestimmung der Beteiligungsquote
a) Beteiligung am Grund- oder Stammkapital
Gemäß § 8b Abs. 4 S. 1 KStG sind die Dividenden steuerpflichtig, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat. Auf die Stimmrechte kommt es nicht an. Das im Steuerrecht geltende wirtschaftliche Eigentum ist aber zu beachten.
Beraterhinweis Treuhänderisch gehaltene Anteile sind dementsprechend dem Treugeber zuzurechnen.
Genussrechte: Bei Genussrechten, die beteiligungsähnlichen Charakter haben, ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung die gewerbesteuerliche Sichtweise nicht übernimmt und sie einer Beteiligung am Grund oder Stammkapital nicht gleichstellt.
Wertpapierleihe: Anteile an der ausschüttenden Gesellschaft, die im Rahmen einer Wertpapierleihe oder eines ähnlichen Geschäfts i.S.d. § 8b Abs. 10 KStG übertragen werden, sind für Zwecke der Bestimmung der maßgeblichen Beteiligungsquote dem Verleiher und nicht dem Entleiher (i.d.R. wohl wirtschaftlicher Eigentümer) zuzurechnen. Gemäß § 8b Abs. 10 S. 1 KStG gilt aber auch ein Streubesitzbeteiligter als schädlicher Verleiher mit der Folge, dass die Leihgebühr beim Entleiher steuerlich nicht abzugsfähig ist.