Leitsatz
Die Verrechnung von Insolvenzforderungen des FA mit einem aus der Honorarzahlung an einen vorläufigen Insolvenzverwalter resultierenden Vorsteuervergütungsanspruch des Insolvenzschuldners ist, sofern bei Erbringung der Leistungen des vorläufigen Insolvenzverwalters die Voraussetzungen des § 130 InsO oder des § 131 InsO vorgelegen haben, unzulässig (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
§ 96 Abs. 1, § 130, § 131 InsO
Sachverhalt
Zugunsten eines Insolvenzverwalters war für seine vorausgegangene Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter vom Amtsgericht eine Vergütung festgesetzt worden. Den darin enthaltenen USt-Betrag hatte er für die Schuldnerin als Vorsteuer in der Voranmeldung angemeldet, als er sein Honorar der Insolvenzmasse entnommen hatte.
Das FA hat den Vorsteuerbetrag mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen gegen die Schuldnerin verrechnet und hierüber später den angefochtenen Abrechnungsbescheid erlassen (Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.01.2010, 5 K 2120/06, Haufe-Index 2305374, EFG 2010, 774).
Entscheidung
Der Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig, soweit er den Vorsteuervergütungsanspruch der Schuldnerin als durch Verrechnung mit den gegen sie gerichteten USt-Forderungen des FA erloschen ausweist. Der vom FA erklärten Aufrechnung steht § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen, weil das FA die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat, nämlich die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters.
Hinweis
1. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hat Rückwirkung: nach näherer Maßgabe der §§ 130, 131 InsO wird einer Reihe in der Zeit vor Eröffnung des Verfahrens getätigten Rechtsgeschäften nachträglich die Rechtswirkung in dem Umfang genommen, in welchem sie die konkurrierenden Insolvenzgläubiger benachteiligen. Es geht also mit anderen Worten nicht etwa darum, diese Geschäfte "rückabzuwickeln" oder als solche zu missbilligen; es geht vielmehr darum, diese Geschäfte gleichsam in das Insolvenzverfahren mit einzubeziehen, um die durch sie Begünstigten den übrigen Insolvenzgläubigern gleichzustellen.
Diese sog. Insolvenzanfechtung (die von der Anfechtung des BGB deutlich vor allem wegen ihrer nur punktuellen Wirkung gegenüber den angefochtenen Rechtshandlungen zu unterscheiden ist) betrifft nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch schlichte Rechtshandlungen. Denn auch von ihnen können Nachteile für die konkurrierenden Insolvenzgläubiger ausgehen. So hat der BGH z.B. das Brauen von Bier als eine anfechtbare Rechtshandlung angesehen; denn das Brauen führt dazu, dass Sachhaftung des Bieres für Biersteuer entsteht!
Auch das FA bekommt diese insolvenzrechtlichen Regelungen schmerzlich zu spüren, etwa wenn es um LSt-Zahlungen in "anfechtbarer" Zeit vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geht (es sei denn, man betrachtet diese Zahlungen als Bargeschäft, was zivilistischen Widerspruch erwarten lässt, insbesondere auf Seiten des BGH). Das wird mitunter für unangemessen gehalten, einmal weil die Interessen des Fiskus für gewichtiger gehalten werden als die sonstiger Insolvenzbetroffener (der Gedanke des alten Fiskusvorrechts) und/oder weil der Fiskus das Entstehen anfechtbarer Forderungen, mit denen er im Insolvenzverfahren dann meist weitgehend ausfällt, gar nicht vermeiden kann (aber können das andere spätere Insolvenzgläubiger, mehr als theoretisch?).
2. Gegenüber einer Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers setzen sich die Anfechtungsgründe gleichsam automatisch durch (es bedarf also keiner Aufrechnungserklärung, das Gesetz nimmt dieser die Wirksamkeit, sofern sie eine anfechtbare Forderung betrifft). Denn nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat.
Das wollte die frühere Rechtsprechung des BFH gegenüber Steuerforderungen nicht gelten lassen, weil diese ja kraft Gesetzes entstünden. Aber sie entstehen freilich nicht aus heiterem Himmel, sondern aufgrund von (Rechts-)Handlungen, an welche das Gesetz die Steuerschuldentstehung lediglich anknüpft. Deshalb hat der BGH der früheren Betrachtungsweise des BFH nichts abgewinnen können. Der BFH hat sie in dieser Grundsatzentscheidung aufgegeben und das FA wie andere Gläubiger behandelt, die eine Aufrechnungsmöglichkeit gegenüber dem Insolvenzschuldner haben, von ihr aber keinen Gebrauch machen können, weil sie diese unter den Voraussetzungen der §§ 130, 131 InsO erlangt haben.
3. Das BMF hatte sich erst jüngst angeschickt, die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO auf Steuerforderungen auszuschließen (merkwürdigerweise nicht auch die der §§ 130, 131 InsO); es wollte also dem Fiskus eine Vorzugsstellung zurückerobern. Damit ist es zwar in der Bundesregierung noch durchgedrungen, im Gesetzgebungsverfahren aber alsbald gescheitert.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 02.11.2010 – VII R 6/10