Leitsatz

1. Ein Steuerpflichtiger, der Leistungen erbringt, die i.S.d. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der 6. EG-RL verbunden sind, kann sich unmittelbar auf die 6. EG-RL berufen, soweit eine nationale Befreiungsvorschrift fehlt.

2. Hat der Gemeinschaftsgesetzgeber selbst die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiungen, auf die sich der Steuerpflichtige berufen kann, nicht ausdrücklich vom Fehlen eines Gewinnstrebens abhängig gemacht -- wie hier Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der 6. EG-RL --, kann sich das FA nicht da­rauf berufen, dass nach der insoweit unvollständig umgesetzten nationalen Befreiungsvorschrift nur Leistungen gemeinnütziger Einrichtungen befreit sind.

3. Für die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter kann auch gewürdigt werden, dass der Leistende die begünstigten Leistungen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit Trägern der Sozialversicherung erbracht hat. Es reicht jedoch nicht, dass der Unternehmer lediglich als Subunternehmer für eine anerkannte Einrichtung tätig geworden ist.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 14, § 4 Nr. 18, § 4 Nr. 25 UStG, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h, Art. 13 Teil A Abs. 2 der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Selbstständig tätige Sozialarbeiter waren in der ambulanten Kinder-, Jugend- und Familienhilfe im Auftrag eines als gemeinnützig anerkannten Vereins tätig.

Der Verein wiederum führte entgeltlich "ambulante Erziehungshilfen" im Auftrag des Jugendamts nach den §§ 27 bis 41 SGB VIII -- Kinder- und Jugendhilfe -- durch. Bei dem für die konkreten Maßnahmen erforderlichen (§ 36 Abs. 2 SGB VIII) Hilfeplan wurden Kläger, die für den Verein tätig waren, einbezogen.

Das FA hielt die Voraussetzungen für eine USt-Befreiung nicht für gegeben. Das FG meinte, die Beteiligung an dem Hilfeplan und die Tätigkeit für den "anerkannten" Verein reichten aus (EFG 2006, 937).

 

Entscheidung

Die Revision des FA hatte Erfolg, weil die Kläger nicht selbst auf vertraglicher Grundlage mit dem Jugendamt tätig waren.

Die mittelbare Tätigkeit reichte ebenso wenig wie der Umstand, dass sie als diejenigen, die für den Verein tätig waren, bei der Erstellung des Hilfeplans beteiligt waren.

 

Hinweis

1. Dass die USt-Befreiungen des UStG zum großen Teil -- vor allem was den Gesundheits- und Erziehungs- und Sozialbereich betrifft -- nicht den Richtlinienvorgaben entsprechen, ist nichts Neues mehr. Durch die Änderung des § 4 Nr. 25 UStG durch das Jahressteuergesetz 2008 sind nunmehr ab dem 01.01.2008 auch Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 UStG und die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII befreit, wenn diese Leistungen von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe oder anderen Einrichtungen mit sozialem Charakter erbracht werden.

Zweckmäßig ist deshalb -- jedenfalls wenn es nicht um den Vorsteuerabzug, sondern um die Befreiung der Umsätze geht --, der Blick in die Richtlinie. Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 der 6. EG-RL sind (Buchst. g) "die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen ..." und (Buchst. h) die "eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen" zu befreien.

Auf diese -- nach EuGH hinreichend genauen -- Regelungen kann sich der Steuerpflichtige berufen.

2. Voraussetzung ist: Es muss sich um Leistungen handeln, die eng mit der Fürsorge und sozialen Sicherheit (Buchst. g) oder der Kinder- und Jugendbetreuung (Buchst. h) verbunden sind. Dafür reicht die Tätigkeit für Träger der Sozialfürsorge aus.

Die Leistungen sind jedoch nur steuerfrei, wenn sie von "Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen (privaten) Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit im Wesentlichen sozialen Charakter anerkannt worden sind", erbracht werden. Hierzu hat der BFH bereits entschieden, dass die Anerkennung -- wenn sie nicht ausdrücklich wie nunmehr in § 4 Nr. 25 UStG n.F. geregelt ist -- auch aus der Übernahme der Kos­ten aufgrund vertraglicher Vereinbarungen für die Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden kann.

3. Ist die Befreiung der Richtlinie selbst -- also der betreffende Tatbestand in Art. 13 Teil A Abs. 1 bzw. Art. 132 MWStSystRL -- nicht von der Gemeinnützigkeit der Einrichtung abhängig, können auch Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht im vorstehenden Sinn als "anerkannt" gelten. Soll die Anerkennung -- zulässigerweise Art. 13 Teil A Abs. 2 der 6. EG-RL bzw. Art. 133 MWStSystRL -- auf gemeinnützige Einrichtungen beschränkt werden, muss dies ausdrücklich geschehen. Die Berufung der Verwaltung, dass das UStG einen Teilbereich richtlinienkonform umgesetzt hat und für diesen die Gemeinnützigkeit voraussetzt, hilft deshalb nicht weiter.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 08.11.2007, V R 2/06

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