Leitsatz
1. Ein nicht zu einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege i.S.v. § 23 UStDV gehörender Verein kann sich für die Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung für einen Haus-Notruf-Dienst unmittelbar auf die gegenüber § 4 Nr. 18 UStG günstigere Regelung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL berufen.
2. Für die im Rahmen eines notärztlichen Transportdienstes und eines Menüservices erbrachten Leistungen gilt die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL vorgesehene Steuerbefreiung nicht.
Normenkette
§ 4 Nr. 18, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG 1993/1999, § 23 UStDV, § 53 Nr. 1, § 65, § 66 Abs. 3 AO, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL
Sachverhalt
Der Kläger ist ein eingetragener Verein für Rettungsdienste, Krankentransporte und soziale Hilfsdienste. Er behandelte seine in den Streitjahren 1998 bis 2001 erbrachten Leistungen im Rahmen seines Haus-Notruf-Dienstes, des ärztlichen Notdienstes und des Menüservices als umsatzsteuerfrei. Das FA hielt die Leistungen für steuerpflichtig, unterwarf aber die Umsätze aus dem Menüservice nur dem ermäßigten Steuersatz gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG.
Das FG gab der Klage hinsichtlich des Haus-Notruf-Dienstes und des ärztlichen Notdienstes statt und wies sie hinsichtlich des Menüservices ab (Niedersächsisches FG, Urteil vom 13.11.2008, 5 K 132/03, Haufe-Index 2114340, EFG 2009, 530).
Entscheidung
Die Revision des Klägers mit dem Begehren, die Leistungen des Menüservices steuerfrei zu belassen, wies der BFH als unbegründet zurück.
Die Revision des FA hatte insoweit Erfolg, als der BFH die Leistungen des ärztlichen Notdienstes aus den in den Praxis-Hinweisen dargestelten Gründen als steuerpflichtig ansah.
Der BFH konnte aber nicht durcherkennen und verwies die Sache an das FG zurück, weil anhand der tatsächlichen Feststellungen des FG nicht entschieden werden konnte, ob das FA für die Leistungen des Menüservices zu Recht den ermäßigten Steuersatz gem. § 12 Nr. 2 Nr. 8 UStG gewährt hatte. Wäre richtigerweise der Regelsteuersatz anzuwenden, käme insoweit wegen der vom BFH bestätigten Steuerfreiheit der Leistungen des Haus-Notruf-Dienstes eine Saldierung nach § 177 AO in Betracht.
Hinweis
1. Der Kläger des Besprechungsfalls, ein eingetragener Verein, erbringt keine nach § 4 Nr. 18 S. 1 UStG steuerbefreiten Leistungen, weil er – unstreitig – kein amtlich anerkannter Verband der freien Wohlfahrtspflege i.S.v. § 23 UStDV und einem solchen Verband auch nicht als Mitglied angeschlossen ist.
2. Er kann sich hinsichtlich der Steuerfreiheit seiner Umsätze im Rahmen des Haus-Notruf-Dienstes jedoch unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL berufen. Denn die Bundesrepublik Deutschland hat diese Bestimmung bisher nur unvollständig in das nationale Recht umgesetzt, indem sie die bereits beim Inkrafttreten der 6. EG-RL vorhandenen Steuerbefreiungstatbestände unverändert fortgeführt hat (vgl. BFH, Urteil vom 18.08.2005, V R 71/03, BFH/NV 2006, 213, BFH/PR 2006, 117).
Für die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL lässt der EuGH es genügen,
- dass es sich um Leistungen handelt, die mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit eng verbunden sind, und
- dass diese Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden (vgl. EuGH, Urteil vom 26.05.2005, C-498/03, – Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd. – BFH/NV 2005, Beilage 4, 310).
Der Haus-Notruf-Dienst wird von Alten, Kranken und Behinderten in ihrer besonderen Lebenssituation benötigt und ist deshalb mit der Sozialfürsorge eng verbunden.
Die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter kann auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden; dabei reicht es aus, dass es sich der Art nach um Leistungen handelt, für die die Kosten übernehmbar sind (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 22.04.2004, V R 1/98, BFH/NV 2004, 1348, unter II.3.b, BFH/PR 2004, 402).
Im Besprechungsfall hat das FG festgestellt, dass die Pflegekassen einen Teil der Kosten für den Haus-Notruf-Dienst übernommen haben, diese Kosten also übernehmbar sind.
3. Im Rahmen des ärztlichen Notdienstes fährt ein als Sanitäter ausgebildeter Fahrer des Klägers den Notarzt mit einem Rettungsfahrzeug, das mit medizinischen Geräten ausgerüstet ist, zu dem Patienten. Das Entgelt für diesen Transport wird vom Notarzt geschuldet und an den Kläger entrichtet.
Damit erbringt der Kläger seine Leistung nicht an hilfsbedürftige Personen, sondern an andere Unternehmer, die diese Leistung benötigen, um ihre eigene steuerbefreite Leistung an den jeweiligen Patienten zu erbringen. Diese Leistung ist nicht eng mit der Sozialfürsorge verbunden. Für sie kann nichts anderes gelten als für Lieferungen von Medikamenten oder für sonstige Leistungen, die an einen Ar...