Leitsatz
Vereinnahmt der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Rahmen der Istbesteuerung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG Entgelte für Leistungen, die bereits vor Verfahrenseröffnung erbracht wurden, handelt es sich bei der für die Leistung entstehenden USt um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
Normenkette
§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG 2003/2005, § 38, § 55 InsO
Sachverhalt
Der Insolvenzverwalter vereinnahmte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Entgelte für vor Insolvenzeröffnung erbrachte Leistungen.
Das FA setzte die USt durch Steuerbescheid fest. Das FG meinte, es handle sich um Insolvenzforderungen (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12.07.2007, 1 K 806/06, Haufe-Index 1798565, EFG 2007, 1737).
Entscheidung
Die Revision des FA hatte Erfolg. Die Gründe ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Die Entscheidungen des VII. Senats des BFH (Urteil vom 16.01.2007, VII R 4/06, BFH/NV 2007, 997, BFH/PR 2007, 243) zur Abgrenzung Insolvenzforderung/Masseverbindlichkeit betreffen das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Zusammenhang mit Steuervergütungen.
Hinweis
1. Insolvenzforderungen (§ 38 InsO: die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner "begründeten" Vermögensansprüche) können nur nach den Vorschriften der Inso verfolgt werden. Dagegen können Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter festgesetzt werden (vgl. § 251 Abs. 3 AO) und sind von ihm nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO aus der Insolvenzmasse zu bezahlen.
2. Maßgeblich für die Abgrenzung ist der Zeitpunkt, zu dem der den USt-Anspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist (nicht erst die Steuerentstehung). Insoweit ist nur das Steuerrecht maßgebend, nicht das Insolvenzrecht. Kommt es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Verfahrenseröffnung (z.B. bei Anzahlungen [§ 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 UStG]), handelt es sich um eine Insolvenzforderung; erfolgt die vollständige Tatbestandsverwirklichung erst nach Verfahrenseröffnung, liegt eine Masseverbindlichkeit vor.
3. Bei der Istversteuerung ist der den USt-Anspruch begründende Tatbestand nicht mit der Leistungserbringung, sondern erst mit der Entgeltvereinnahmung vollständig verwirklicht und abgeschlossen. Der Steueranspruch entsteht erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Entgeltvereinnahmung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG). Zu berücksichtigen ist die Besonderheit der USt, bei der der Unternehmer "als Steuereinnehmer für Rechnung des Staats tätig" wird und dabei "öffentliche Gelder" im Interesse der Staatskasse vereinnahmt. Die Einziehung der – von vornherein zur Weiterleitung an das FA bestimmten – USt gehört zur Verwaltung und Verwertung der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO).
4. Die Entscheidung betrifft nur die Istversteuerung. Bei der Sollversteuerung ist der Besteuerungstatbestand zwar mit der Ausführung der Leistung verwirklicht (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG). Die "reine" Sollbesteuerung gibt es jedoch nicht; so entsteht auch bei Sollbesteuerung für Anzahlungen die Steuer vor Ausführung der Leistung und wird letztlich auch nur besteuert, was der Unternehmer tatsächlich erhalten hat (§ 17 UStG). Ob dies und die Sonderstellung der USt, bei der der Unternehmer als "Steuereinnehmer für Rechnung des Staats" tätig ist, zu berücksichtigen ist, wenn der Insolvenzverwalter die Steuer für eine vor Insolvenzeröffnung erbrachte Leistung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinnahmt, ist noch offen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 29.01.2009 – V R 64/07