Leitsatz
Ein vom Schuldner während des Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit einer freiberuflichen Tätigkeit erlangter USt-Vergütungsanspruch fällt in die Insolvenzmasse, wenn er nicht vom Insolvenzverwalter freigegeben worden ist; das gilt auch bei Nutzung und Verwertung ausschließlich unpfändbarer Gegenstände des Vermögens des Schuldners.
Normenkette
§ 35, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, § 811 Abs. 1 ZPO
Sachverhalt
Mit Zustimmung des Insolvenzverwalters hatte der Schuldner nach Eröffnung des Verfahrens seine selbstständige Berufstätigkeit wieder aufgenommen. Die von ihm für 2004 eingereichte USt-Erklärung wies einen Vergütungsbetrag aus. Diesen hat das FA auf rückständige vorinsolvenzliche ESt des Schuldners umgebucht. Der Verwalter meint hingegen, das Guthaben sei an die Masse auszukehren.
Als das FA seinen Rechtsstandpunkt in einem Abrechnungsbescheid zum Ausdruck brachte, wurde dagegen vom Verwalter Klage erhoben. Dieser hat das FG nach erfolglosem Einspruchsverfahren stattgegeben (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26.02.2009, 2 K 126/07, Haufe-Index 2191220, EFG 2009, 1185).
Entscheidung
Der BFH hat sich dem FG angeschlossen. Der vom Schuldner während des Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit einer freiberuflichen Tätigkeit erlangte USt-Vergütungsanspruch fällt in die Insolvenzmasse.
Hinweis
1. Eine Aufrechnung ist unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Dazu gehört auch das während des Verfahrens erlangte Vermögen, also auch eine nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworbene Forderung, z.B. ein Steuervergütungsanspruch.
2. Der Insolvenzverwalter kann, wenn der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit ausübt oder beabsichtigt, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, gegenüber dem Schuldner erklären, ob Vermögen aus dieser selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehören soll und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (§ 35 Abs. 2 InsO n.F.; früher entsprechendes richterrechtliches Institut). Gibt der Insolvenzverwalter nicht diese Erklärung ab (sog. Freigabe), fallen die vom Schuldner durch die betreffende Tätigkeit neu erworbenen Forderungen in die Insolvenzmasse. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht dann einer Aufrechnung mit den vorinsolvenzlichen Schulden des Insolvenzschuldners entgegen.
Eine bloße "Zustimmung" des Insolvenzverwalters, dass der Schuldner seine freiberufliche Tätigkeit während des Insolvenzverfahrens fortsetzt, ist aber keine "Freigabe".
3. Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, also nicht pfändbar sind, gehören nicht zur Insolvenzmasse (§ 36 Abs. 1 InsO). Ihre Nutzung oder Verwertung beim Neuerwerb schließt jedoch – anders als eine Freigabe – deren Zuordnung zur Insolvenzmasse nicht aus.
4. Die im Ergebnis bestehende Zuordnung von USt-Schulden aus "freigegebener Tätigkeit" zum insolvenzfreien Vermögen des Schuldners führt freilich zu der unbefriedigenden Rechtslage, dass neue Aktiva dem Insolvenzbeschlag unterfallen, mit ihnen unmittelbar zusammenhängende Steuern wie die USt jedoch außerhalb des Insolvenzverfahrens befriedigt werden müssen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.12.2009 – VII R 18/09