Leitsatz

1. Eigene Anteile der Kapitalgesellschaft sind bei der Bestimmung der relevanten Beteiligungsquote i.S. des § 17 EStG nicht zu berücksichtigen (Bestätigung von BFH-Urteil vom 25.11.1997 – VIII R 36/96, BFH/NV 1998, 691).

2. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ist von den tatsächlichen Anschaffungskosten auszugehen; der Ansatz des gemeinen Werts der Beteiligung im Zeitpunkt des Erreichens der Relevanzschwelle kommt nicht in Betracht (vgl. ständige Rechtsprechung). Dies gilt auch für § 17 EStG in der seit 1999 geltenden Fassung.

3. Verfassungsrechtlich gebotener Vertrauensschutz nach Maßgabe des BVerfG-Beschlusses vom 07.07.2010 – 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 (BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86) setzt u.a. voraus, dass die bis zum 31.03.1999 entstandenen Wertsteigerungen im Falle einer Veräußerung nach dem 31.03.1999 auch im Zeitpunkt der Veräußerung nach der bis zum 31.03.1999 gel­tenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können. Ist das nicht der Fall, beruht die rückwirkende Verstrickung der Wertsteigerungen nicht auf der (dem Gesetzgeber zurechenbaren) Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle, sondern – wie hier – auf dem (der Sphäre des Steuerpflichtigen zurechenbaren) Hineinwachsen in die Wesentlichkeit; Vertrauensschutz ist insoweit nicht geboten.

4. Ist verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz geboten, werden die bis zum 31.03.1999 entstandenen Wertsteigerungen vom steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn abgezogen und insoweit von der Besteuerung ausgenommen. Gegebenenfalls wird der Veräußerungsgewinn bis auf Null gemindert.

5. Verluste, die sich ergeben, wenn der gemeine Wert der Anteile am 31.03.1999 dem Veräußerungserlös gegenübergestellt wird, sind nicht steuerbar.

 

Normenkette

§ 17 Abs. 1, 2 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger war ursprünglich zu 25 %, die Klägerin zu 8 % an einer GmbH beteiligt, deren Geschäftsführer der Kläger war. Im Jahr 2007 erwarb die GmbH eigene Anteile. Dadurch erhöhte sich reflexhaft die Beteiligungsquote des Klägers auf 37,7 % und die der Klägerin auf 12,2 %. Im Jahr 2011 veräußerten die Kläger ihre Beteiligungen und ermittelten daraus Veräußerungsverluste, indem sie dem Veräußerungserlös jeweils den gemeinen Wert ihrer Beteiligung am 31.3.1999 gegenüberstellten. Das FA folgte dem nicht. Bei Ansatz der historischen Anschaffungskosten ergaben sich jeweils Veräußerungsgewinne. Den Veräußerungsgewinn des Klägers berücksichtigte das FA, den Veräußerungsgewinn der Klägerin ließ es dagegen aus verfassungsrechtlichen Gründen unberücksichtigt. Der Verlust, den die Klägerin rechnerisch im Zeitraum zwischen dem 1.4.1999 und der Veräußerung erlitten hatte, blieb außer Ansatz. Das FG hat die Klage abgewiesen (FG Köln, Urteil vom 7.10.2020, 5 K 2290/18, Haufe-Index 14371023, EFG 2021, 641).

 

Entscheidung

Zu Recht, denn auch die Revision der Kläger blieb erfolglos. Der BFH hat das Urteil der Vorinstanz vollen Umfangs bestätigt.

 

Hinweis

Das Urteil klärt eine Reihe von Fragen, die der BVerfG-Beschluss vom 7.7.2010, 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 ( BFH/NV 2010, 1976, BStBl II 2011, 86) offengelassen hat zur Reichweite des Vertrauensschutzes nach Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle in § 17 Abs. 1 EStG.

1. Der Fall betrifft das Hineinwachsen in die Wesentlichkeit (nach altem Recht) durch den Erwerb eigener Anteile. Diese sind bei der Bestimmung der Beteiligungsquote nicht (mehr) zu berücksichtigen, wodurch sich die Quote der verbleibenden Gesellschafter reflexhaft erhöht, obwohl sie ihr Engagement nicht aktiv ausweiten. Dies kann zum Hineinwachsen in die Wesentlichkeit führen. Der BFH hat insoweit zunächst seine schon ältere Rechtsprechung bestätigt. Zwischen den Beteiligten war das aber auch nicht streitig.

2. Ganz allgemein stellt sich die Frage, ob nach einem Hineinwachsen in die Wesentlichkeit bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns stets der gemeine Wert im Zeitpunkt des Hineinwachsens anstelle der historischen Anschaffungskosten angesetzt werden muss/darf. Der BFH verneint dies in ständiger Rechtsprechung und hält auch im Besprechungsurteil daran fest. Anzusetzen sind vielmehr die historischen Anschaffungskosten.

a) Nach Auffassung des BFH erfasst § 17 EStG den Wertzuwachs zwischen Anschaffung und Veräußerung auch dann, wenn die Verstrickung durch gezielte Begrenzung der Beteiligungshöhe im Zeitpunkt der Anschaffung gerade vermieden werden sollte. Es kommt dann z.B. bei einem Hineinwachsen (ggf. auch ungewollt) zu einer rückwirkenden Wertverstrickung. Das BVerfG hat dies in der Vergangenheit nicht beanstandet.

b) Für den Ansatz des gemeinen Werts sprechen zwar viele Gründe. Das gesteht der BFH durchaus zu. Ihnen steht aber der klare Wortlaut des § 17 Abs. 1 EStG und der Umstand entgegen, dass es (in § 17 EStG) keine allgemeine Verstrickungsregel gibt. Eine spezielle gesetzliche Vorschrift, die den Ansatz des gemeinen Werts gerade in Fällen des Hineinwachsens anordnet, fehlt. Der Gesetzgeber hat sie (sehenden Auges) auch nic...

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