Leitsatz
1. Der Antrag auf getrennte Veranlagung kann auch zusammen mit einem gegen den nicht bestandskräftigen Zusammenveranlagungsbescheid eingelegten Einspruch gestellt werden.
2. Erzielt der Insolvenzschuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die nach § 35 InsO i.V.m. § 36 Abs. 1 InsO als Neuerwerb zur Insolvenzmasse gehören, ist auch ein sich insoweit ergebender, nach § 46 Abs. 1 AO pfändbarer Lohn- oder Einkommensteuererstattungsanspruch der Insolvenzmasse zuzurechnen.
3. Fällt nach Insolvenzeröffnung erzieltes Arbeitseinkommen und ein insoweit in Betracht kommender Lohn- oder Einkommensteuererstattungsanspruch als Neuerwerb in die Insolvenzmasse, steht dem Insolvenzverwalter und im vereinfachten Insolvenzverfahren dem Treuhänder für den betreffenden Besteuerungszeitraum auch die Ausübung des Veranlagungswahlrechts nach § 26 Abs. 2 EStG als Verwaltungsrecht mit vermögensrechtlichem Bezug zu (Anschluss an die BGH-Urteile vom 24. Mai 2007, IX ZR 8/06, HFR 2007, 1246, und vom 18. Mai 2011, XII ZR 67/09, HFR 2011, 1248).
Normenkette
§ 35 Abs. 1, § 36 Abs. 1, § 80 Abs. 1 InsO, § 26, § 26a, § 26b EStG, § 34 Abs. 1, Abs. 3, § 37 Abs. 2, § 46 Abs. 1, § 350 AO, § 313 InsO a.F., § 44 Abs. 1, § 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO
Sachverhalt
Das Amtsgericht eröffnete 2012 nacheinander zunächst das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beigeladenen zu 1. und sodann ihres Ehemannes, des Beigeladenen zu 2.; in beiden Fällen ernannte es die Klägerin zur Treuhänderin (§ 313 InsO a.F.). 2014 wurde das Insolvenzverfahren des Beigeladenen zu 2. aufgehoben.
Im September 2013 gaben die Beigeladenen ihre Einkommensteuererklärung für 2012 ab, erklärten darin ausschließlich Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit und beantragten die Zusammenveranlagung. Die Klägerin wurde als Empfangsbevollmächtigte benannt. Das FA erließ für die Zeiträume ab Eröffnung der jeweiligen Insolvenzverfahren erklärungsgemäße Einkommensteuerbescheide für 2012 und gab sie den Beigeladenen getrennt bekannt, die sie an die Klägerin weiterleiteten. Die Summe der im gesamten VZ erzielten Einkünfte der Beigeladenen zu 1. betrug etwa 17.000 EUR, die des Beigeladenen zu 2. 36.000 EUR. Für die Zeit nach Eröffnung des jeweiligen Insolvenzverfahrens ergaben sich geringfügige Nachzahlungsverpflichtungen.
Die Klägerin legte als Treuhänderin der Beigeladenen zu 1. Einspruch gegen die Bescheide ein und beantragte getrennte Veranlagung. Dem Einspruch waren von den Beigeladenen nicht unterschriebene getrennte Einkommensteuererklärungen beigefügt.
Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig, weil der Klägerin keine Einspruchsbefugnis zustehe, da sich die Bescheide ausschließlich gegen das nicht ihrer Verfügungsbefugnis unterliegende insolvenzfreie Vermögen der Beigeladenen richteten.
Das FG gab der von der Klägerin als Treuhänderin der Beigeladenen zu 1. erhobenen Klage statt (FG Münster, Urteil vom 21.4.2016, 2 K 2410/14 E, Haufe-Index 9486853, EFG 2016, 1177), hob den Einkommensteuerbescheid auf und verpflichtete das FA, die Beigeladene zu 1. getrennt vom Beigeladenen zu 2. zu veranlagen.
Entscheidung
Die Revision des FA blieb ohne Erfolg.
Hinweis
1. Sind die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung erfüllt, kann das Veranlagungswahlrecht zwischen getrennter (jetzt: Einzelveranlagung von Ehegatten, § 26a EStG) und Zusammenveranlagung bis zur Unanfechtbarkeit eines Einkommensteuerbescheides ausgeübt und eine einmal getroffene Wahl vorbehaltlich rechtsmissbräuchlicher oder willkürlicher Antragstellung widerrufen werden. Der Antrag auf Änderung der Veranlagungsart setzt weder einen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid noch einen Änderungsantrag voraus; ein Antrag auf Durchführung der gewählten Veranlagungsart genügt. Ein Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid ist aber nicht unzulässig; ein Ehegatte kann daher innerhalb der Einspruchsfrist sowohl sein Veranlagungswahlrecht abweichend ausüben als auch Einspruch gegen den bisherigen Bescheid einlegen.
2. Der Insolvenzverwalter hat die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht (§ 34 Abs. 1 und 3 AO). Zur Insolvenzmasse, die durch den Insolvenzverwalter oder Treuhänder verwaltet wird, gehört nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Zur Masse gehören daher als Neuerwerb das pfändbare Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners und der nach § 46 Abs. 1 AO pfändbare Einkommensteuererstattungsanspruch, und zwar unabhängig davon, ob er sich auf Veranlagungszeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder auf die Zeit des laufenden Insolvenzverfahrens bezieht.
Der Massezugehörigkeit eines auf überzahlter Lohnsteuer beruhenden Einkommensteuererstattungsanspruchs steht nicht entgegen, dass Arbeitseinkommen nur eingeschränkt pfändbar ist (§ 850 ZPO), denn der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen (§ 37 Abs. 2 AO) ist ...