Leitsatz
1. Das FA ist nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO verfahrensrechtlich zum Erlass einer verbösernden Einspruchsentscheidung berechtigt, wenn ein Teilerlass mit dem Einspruch angefochten wird.
2. Aufgrund der im Einspruchsverfahren geltenden umfassenden Überprüfungsmöglichkeit nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO ist das FA nicht an die Voraussetzungen der Korrekturvorschriften §§ 130f., 172 ff. AO gebunden.
Normenkette
§§ 130f., §§ 172ff., § 222, § 227, § 240, § 258, § 309, § 367 Abs. 1, Abs. 2 AO
Sachverhalt
Der Kläger betreibt zusammen mit seinem Bruder eine OHG und erzielt daneben als Schiffsführer Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Eine Steuerfahndungsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass die Schiffsführertätigkeit des Klägers als einzig mögliche Geldquelle für hohe Einlagen in das Betriebsvermögen der OHG in Betracht komme, welche den Gesellschaftern jeweils zu gleichen Teilen gutgeschrieben wurden. Daraufhin erließ das FA entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für 2002 bis 2005.
Der im September 2008 eingelegte Einspruch blieb zunächst ohne Begründung. Im Dezember 2008 gaben die Kläger zur Herkunft der ungeklärten Einlagen Spielbankgewinne im Ausland, einen Lottogewinn, Geschenke und die Veräußerung von Privatvermögen an. Im Mai und Juni 2010 wiesen sie dann u.a. auf Doppelbuchungen hin. Daraufhin gab das FA den Einsprüchen im Januar 2011 teilweise statt.
Während des Rechtsbehelfsverfahrens hatten die Kläger im Oktober 2008 und Februar 2011 vom FA abgelehnte AdV-Anträge gestellt. Aufgrund der Vollstreckungsrückstände hatte das FA seit 2008 diverse Pfändungen ausgebracht, aber überwiegend nicht verwertet. Die im Januar 2011 erhobene Klage erledigte sich durch die Verständigung, dass die zusätzlichen Gewinne nur zur Hälfte dem Einzelunternehmen des Klägers, im Übrigen aber dem Bruder des Klägers als Sonderbetriebseinnahmen im Rahmen der Mitunternehmerschaft zuzurechnen seien. Außerdem gewährte das FA rückwirkend ab Antragstellung – 15.2.2011 – AdV im Rahmen der Änderungen.
Im April 2012 beantragten die Kläger, Säumniszuschläge i.H.v. 125.515 EUR zu erlassen. Das FA erließ die Säumniszuschläge zur Hälfte, soweit die Kläger in der Hauptsache Erfolg gehabt hatten (32.060 EUR), und lehnte den Antrag im Übrigen ab.
Nachdem die Kläger dagegen Einspruch eingelegt hatten, wies das FA auf die Möglichkeit einer Verböserung hin. Mit Einspruchsentscheidung vom 10.4.2013 hob es sodann den Teilerlass auf.
Das FG Rheinland-Pfalz (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7.5.2014, 1 K 1556/13, Haufe-Index 7621206, EFG 2015, 696) gab der Klage nur hinsichtlich der Aufhebung des Teilerlasses statt und wies sie im Übrigen ab.
Entscheidung
Die Revision des FA führte zur Klageabweisung in vollem Umfang, die Revision der Kläger war unbegründet.
Hinweis
1. Über einen Billigkeitserlass kann auch dann entschieden werden, wenn noch nicht endgültig geklärt ist, ob die zu erlassenden Steuern oder Nebenleistungen überhaupt bestehen, weil dazu noch ein Abrechnungsverfahren (§ 218 AO) offen ist. Billigkeits- und Abrechnungsverfahren stehen selbstständig nebeneinander.
2. Im Rahmen der Entscheidung über den Einspruch ist der Verwaltungsakt "in vollem Umfang erneut zu prüfen" (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Behörde kann auch verbösern, wenn sie darauf unter Angabe von Gründen hingewiesen und dem Einspruchsführer Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Finanzbehörde kann dann im Einspruchsverfahren so entscheiden, als ob sie die Sache erstmals regelt. Dies gilt auch für eine nach § 227 AO zu treffende Ermessensentscheidung. Die Rechtsbehelfsstelle trifft aufgrund der im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage eine eigenständige Entscheidung; sie kann auch geänderte Erwägungen anstellen. Ein vorangegangener Teilabhilfebescheid hindert die Verböserung daher nicht.
3. Die Vorschriften über die Rücknahme eines rechtswidrigen und den Widerruf eines rechtsmäßigen Verwaltungsakts (§§ 130, 131 AO) gelten auch während des Einspruchsverfahrens (§ 132 Satz 1 AO). Da der Einspruch aber die Bestandskraft des Verwaltungsakts hindert, ist die Behörde im Einspruchsverfahren nicht an die Voraussetzungen der allgemeinen Korrekturvorschriften (z.B. §§ 130f., 172 ff. AO) gebunden.
4. Säumniszuschläge sind nicht akzessorisch zur Hauptschuld. Sie bleiben daher unberührt, wenn eine rechtswidrige Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert wird (§ 240 Abs. 1 Satz 4 AO).
5. Säumniszuschläge sind nach ständiger Rechtsprechung i.d.R. zur Hälfte zu erlassen, wenn sie nicht mehr als Druckmittel fungieren können. Dies kann zutreffen, wenn eine (persönliche) Erlass- oder Stundungssituation (§ 222 AO) gegeben war. Ansonsten kommt es im Erlassverfahren nicht darauf an, ob das FA zur Stundung oder zur AdV verpflichtet war, so dass die zu erlassenden Säumniszuschläge in geringerer Höhe oder gar nicht entstanden wären. Diese Frage kann nur durch Rechtsbehelfseinlegung in jenen Verfahren überprüft werden.
6. Sieht das FA von Vollstreckun...