Leitsatz

1. Die antragsgebundene Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG, die der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen kann, ist auch dann verbraucht, wenn das FA die Vergünstigung zu Unrecht gewährt hat. Dies gilt selbst dann, wenn dies ohne Antrag des Steuerpflichtigen geschieht und ein Betrag begünstigt besteuert wird, bei dem es sich tatsächlich nicht um einen Veräußerungsgewinn i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG handelt.

2. Etwas anderes gilt nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann, wenn die rechtsirrige Gewährung der Vergünstigung in dem früheren Bescheid für den Steuerpflichtigen angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des FA nicht erkennbar war.

 

Normenkette

§ 34 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 4, § 24 Nrn. 1 und 3 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger veräußerte im Streitjahr 2016 seinen Anteil an einer Gemeinschaftspraxis. Er erzielte hierbei einen nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn. Die hierfür beantragte Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 EStG lehnte das FA ab, da dem Kläger diese Ermäßigung bereits im Jahr 2006 – zu Unrecht – gewährt worden und damit ein Verbrauch eingetreten sei. Der Kläger hatte im Jahr 2006 weder einen Veräußerungsgewinn erzielt noch einen Antrag auf Gewährung der Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG gestellt. Nach den Feststellungen des FG war dem Prozessbevollmächtigten der Kläger aufgefallen, dass das FA in der ESt-Festsetzung 2006 zugunsten der Kläger von der eingereichten ESt-Erklärung und von den festgestellten Besteuerungsgrundlagen abgewichen worden war. Das FG gab der hiergegen erhobenen Sprungklage statt (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 28.11.2018, 2 K 205/17, Haufe-Index 12556931, EFG 2019, 169). Der ermäßigte Steuersatz gemäß § 34 Abs. 3 EStG sei durch die fehlerhafte Gewährung im Jahr 2006 nicht verbraucht, denn der Kläger habe die Steuerermäßigung seinerzeit nicht (unberechtigt) i.S.d. § 34 Abs. 3 Satz 4 EStG"in Anspruch" genommen.

 

Entscheidung

Die hiergegen erhobene Revision des FA war begründet. Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

 

Hinweis

1. Mit der vorliegenden Entscheidung hat der BFH an seiner strengen Linie festgehalten, dass auch eine vom FA zu Unrecht gewährte ermäßigte Besteuerung außerordentlicher Einkünfte nach § 34 Abs. 3 EStG dazu führt, dass die Steuerermäßigung nur einmal im Leben in Anspruch genommen werden kann. Dies soll auch dann gelten, wenn ein erforderlicher Antrag vom Steuerpflichtigen nicht gestellt worden ist. Entscheidend ist allein, dass sich die Vergünstigung auf die Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Sie ist somit "verbraucht".

2. Diese Rechtsprechung des BFH ist in der Literatur nicht unumstritten. Denn ein "Verbrauch" der Begünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG kann an sich nur eintreten, wenn ein Veräußerungsgewinn vorliegt. Dessen Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall im Jahr 2006 jedoch nicht erfüllt. Nach Auffassung des BFH wird die Steuerbegünstigung nach § 34 Abs. 3 Satz 4 EStG jedoch auch dann in Anspruch genommen, wenn das FA diese rechtswidrig gewährt und der Steuerpflichtige diese für ihn günstige Entscheidung billigt, ohne dass er selbst einen Anspruch gestellt hat. Denn das Credo ist, dass der Steuerpflichtige nicht mehrfach in den Genuss der Vergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG kommen soll. Danach führt die vom FA selbst verursachte rechtswidrige Gewährung der Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG dazu, dass diese bei einem späteren tatsächlichen Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht mehr zu gewähren ist.

3. Diese Rechtsprechung passt umso weniger in die Systematik der AO, als der Steuerpflichtige nach § 153 AO nicht verpflichtet ist, das FA auf seine Fehler bei der Festsetzung hinzuweisen. Er muss auch keinen Einspruch gegen den unzutreffenden, begünstigenden ESt-Bescheid einlegen. Der BFH lässt diese Argumentation allerdings nicht gelten. Nach seiner Auffassung verwirklicht der Steuerpflichtige mit seiner Entscheidung, auf einen Einspruch zu verzichten, das ihm obliegende "Risiko", die einmalige Begünstigung des § 34 Abs. 3 EStG nicht optimal nutzen zu können.

4. Eine Ausnahme soll nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann gelten, wenn angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und des Fehlens eines Hinweises im Bescheid nicht erkennbar gewesen ist, dass das FA die Vergünstigung ohne den erforderlichen Antrag gewährt hat. Wann diese Grenze überschritten sein soll, ist jedoch mehr als unsicher. Im vorliegenden Fall hat der BFH dies bejaht, sodass der Grundsatz von Treu und Glauben nicht anwendbar sein soll.

Einspruch bei unerwünschter rechtswidriger ermäßigter Besteuerung

Es ist daher anzuraten, Einspruch einzulegen, wenn das FA eine unerwünschte rechtswidrige ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG gewährt. Andernfalls droht nach der Rechtsprechung des BFH, dass die nur einmal im Leben des Steuerpflich...

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