Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Die Aussetzung eines Klageverfahrens analog § 74 FGO ist nur geboten, wenn vor dem BVerfG ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist.
Sachverhalt
Der Kläger erzielte u. a. als Flugkapitän Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens gegen die Steuerfestsetzung für 2004 fand bei ihm eine Steuerfahndungsprüfung für die Jahre 1997 bis 2004 statt, die zu dem Ergebnis kam, dass er in diesen Jahren einen inländischen Wohnsitz hatte und daher der unbeschränkten Steuerpflicht unterlag und nicht - wie von ihm erklärt - der beschränkten Steuerpflicht. Das Finanzamt änderte daraufhin u. a. die Einkommensteuerfestsetzung 2004.
Nach der im Wesentlichen erfolglosen Durchführung eines Einspruchsverfahrens beantragte der Kläger im Klageverfahren wegen Einkommensteuer 2004 die Aussetzung des Klageverfahrens im Hinblick auf das Verfahren I R 50/12 beim BFH.
Entscheidung
Das FG hat eine Aussetzung des Klageverfahrens nicht für geboten gehalten. In dem beim BFH anhängigen Fall geht um die Rechtsfrage, ob ein von mehreren Piloten angemietetes und abwechselnd genutztes Standby-Zimmer einen Wohnsitz i. S. v. § 8 AO darstellen kann. Vorliegend geht es dagegen um die tatsächliche Frage, ob der Kläger die ihm gehörende Wohnung im Streitzeitraum tatsächlich bewohnt hat. Diese Frage ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Es fehlt damit an einer Vorgreiflichkeit i. S. d. § 74 FGO. Entsprechendes gilt für eine entsprechende Anwendung des § 74 FGO.
Hinweis
Die Aussetzung eines Klageverfahrens nach § 74 FGO ist regelmäßig nur geboten, wenn vor dem BVerfG ein nicht aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, den FG zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der Beteiligten des Klageverfahrens ein besonderes berechtigtes Interesse an einer alsbaldigen Entscheidung des FG hat.
Selbst wenn man diese Maßstäbe auf beim BFH anhängige Revisionsverfahren überträgt, ist eine Verfahrensaussetzung nur gerechtfertigt, wenn es sich bei dem beim BFH anhängigen Verfahren um ein "echtes" Musterverfahren handelt. In dem Klageverfahren, das ausgesetzt werden soll, darf es nicht um einen anderen Sachverhalt als in dem Verfahren vor dem BFH gehen. Die Fälle müssen hinsichtlich der Streitfrage vielmehr im Wesentlichen gleichgelagert sein.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 20.02.2013, 9 K 1748/11