Leitsatz

Das Finanzgericht (FG) verstößt gegen die Grundordnung des Verfahrens, wenn es bei der Einkommensteuerveranlagung 1991 einen verbleibenden Verlustabzug aus früheren Jahren berücksichtigt, der vom FA nicht gesondert festgestellt wurde.

Nach der für die Beurteilung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, maßgebenden Auffassung des FG war der von den Klägern begehrte Verlust nicht im Streitjahr 1991, sondern bereits 1988 zu berücksichtigen und – soweit er dort und in den Folgejahren nicht ausgeglichen werden konnte – wie Sonderausgaben bei der Einkommensteuerveranlagung 1991 vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen (verbleibender Verlustabzug; § 10 d Abs. 2 EStG). Das FG hat auf dieser Grundlage einen vortragsfähigen und bisher nicht ausgeglichenen Verlustvortrag aus dem Jahr 1988 berücksichtigt. – Mit dieser Entscheidung hat das FG gegen Verfahrensrecht verstoßen. Denn es hat mit der Ermittlung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. 12. 1990 eine Besteuerungsgrundlage festgestellt, deren Feststellung einem gesonderten und die abziehbaren Verluste früherer Jahre einbeziehenden Grundlagenbescheid vorbehalten ist (vgl. § 10 d Abs. 5 Satz 1, § 52 Abs. 1 EStG). Diese Feststellung hätte es nicht treffen dürfen; es hätte vielmehr das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des in § 10 d Abs. 3 EStG vorgesehenen Feststellungsverfahrens entsprechend § 74 FGO aussetzen müssen (vgl. z.B. BFH, Urteil v. 12. 11. 1985, IX R 85/82, BStBl II 1986 S. 239, für gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung). Trifft das FG statt dessen eine Sachentscheidung, liegt ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor. Einen Ermessensspielraum hat das FG hier nicht. Eine Prüfung der Erheblichkeit des Verfahrensmangels ist bei einem Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens nicht erforderlich (so wohl auch Gräber/Ruban, FGO, 4. Auflage, § 115 Rdnr. 34; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Auflage, § 120 Rdnr. 36). Der Vortrag der Kläger, dass die Verlustrücktrags- und Verlustvortragsmöglichkeiten in den Jahren 1986 bis 1990 bereits voll ausgeschöpft worden seien, ist im Rahmen der gesonderten Verlustfeststellung zum 31. 12. 1990 zu überprüfen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 06.07.1999, VIII R 12/98

Hinweise:

Das besondere Verfahren zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs bei der Einkommensteuer gilt erstmals für den Stichtag „31. 12. 1990” (zur Entstehungsgeschichte anschaulich Baum, DStZ 1988, 512, mit Beispielen). Dies hatte das Finanzgericht im Streitfall offensichtlich übersehen. Auf den 31. 12. 1990 war im Streitfall mit verbindlicher Wirkung für das Streitjahr 1991 festzustellen, welche in den Vorjahren (hier: im Veranlagungszeitraum 1988) erzielten Verluste bis 31. 12. 1990 (bis einschließlich Veranlagungszeitraum 1990) weder – mit anderen positiven Einkünften in den jeweiligen Verlustentstehungsjahren – ausgeglichen noch im Wege des Verlustabzugs (Verlustrücktrag oder Verlustvortrag bis einschließlich 1990) verbraucht waren.

Zu beachten ist, dass der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nach m.E. zutreffender, bisher vom BFH – soweit ersichtlich – aber noch nicht bestätigter Auffassung (bestandskräftig) nur über den verbleibenden , d.h. in die Zukunft vorzutragenden Verlust entscheidet . Dagegen gehören die einzelnen Berechnungsgrößen zur Ermittlung dieses vortragsfähigen Verlusts nicht zum sog. verfügenden Teil dieses Feststellungsbescheids, nehmen also an der Bestandskraft des Feststellungsbescheids nicht teil (vgl. v. Groll in Kirchhof/Söhn, EStG, § 10 d Rdnr. D 30).

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