a) Allgemeines
Gemäß § 9 S. 1 AO hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Es kommt demnach darauf an, wo sich unter Berücksichtigung des Willens des Betroffenen und der bisherigen tatsächlichen Verweildauer der regelmäßige Schwerpunkt der persönlichen Lebensverhältnisse befindet. Beachten Sie: Anders als beim Wohnsitz ist ein mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt zu derselben Zeit nicht möglich.
Daraus, dass der gewöhnliche Aufenthalt nicht gleichzeitig an mehreren Orten bestehen kann, ergibt sich, dass bei fortdauerndem Schwerpunktaufenthalt im Ausland kurzfristige Aufenthalte im Inland, z.B. Geschäfts- oder Dienstreisen, Schulungen, keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründen. Umgekehrt führen kurzfristige Auslandsaufenthalte bei fortdauerndem Schwerpunktaufenthalt im Inland nicht zur Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland (AEAO zu § 9, Ziff. 3).
b) Tatsächlicher Aufenthalt
Der gewöhnliche Aufenthalt setzt zunächst eine Anwesenheit voraus, also ein tatsächlicher Aufenthalt im Inland, bezogen auf einen bestimmten Ort oder auf ein bestimmtes Gebiet (BFH v. 7.4.2011 – III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351; Gersch in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 9 Rz. 2). Eine Wohnung i.S.d. § 8 AO ist nicht erforderlich, genauso wenig wie die Beschränkung auf einem einzigen Ort. Entscheidend sind die objektiven Umstände. Innere Absichten, die im Widerspruch zu den äußeren Umständen stehen, sind irrelevant.
Regelmäßige Übernachtung: Für den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland ist eine regelmäßige Übernachtung erforderlich. Eine Schlafstelle auf dem Firmengelände, die bei gelegentlichen, betrieblich bedingten Aufenthalten benutzt wird, stellt weder einen Wohnsitz dar noch hat sie den gewöhnlichen Aufenthalt zur Folge. Kehrt ein Unternehmer mit Wohnsitz im Ausland und Betrieb in Deutschland regelmäßig nach Geschäftsschluss zu seiner Familienwohnung zurück, so hat er in Deutschland keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Das Vorhandensein der wirtschaftlichen Existenzgrundlage im Inland, die die tägliche Anwesenheit im Inland erfordert, reicht daher nicht aus, wenn der Steuerpflichtige allabendlich zu seiner Familie in die im Ausland belegene Wohnung zurückkehrt (vgl. BFH v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944). Bleibt die Person aber an Arbeitstagen regelmäßig am Beschäftigungsort und kehrt lediglich an den Wochenenden, Feiertagen und Urlaub zu ihrer Wohnung im Ausland zurück, ist ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland gegeben (Wilke / Weber, Lehrbuch internationales Steuerrecht, 16. Aufl. 2022, Rz. 38). Ebenso begründen Gastarbeiter, die regelmäßig erst nach einer längeren Periode, z.B. 12 Monate, in ihr Heimatland zurückkehren, regelmäßig für die Zeit in Deutschland einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Grenzgänger haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt grundsätzlich im Wohnsitzstaat (BFH v. 10.5.1989 – I R 50/85, BStBl. II 1989, 755; v. 10.7.1996 – I R 4/96, BStBl. II 1997, 15). Dasselbe gilt für Grenzpendler, also die bereits angesprochenen Arbeitnehmer, aber auch Unternehmer/Freiberufler, die regelmäßig jeweils nach Geschäftsschluss zu ihrer Familienwohnung im Ausland zurückkehren (BFH v. 6.2.1985 – I R 23/82, BStBl. II 1985, 331). Wer allerdings regelmäßig an Arbeitstagen am Arbeits-/Geschäftsort im Inland übernachtet und sich nur am Wochenende bzw. an Feiertagen und im Urlaub zu seiner Wohnung im Ausland begibt, hat an dem inländischen Arbeits-/Geschäftsort jedenfalls seinen gewöhnlichen Aufenthalt (AEAO zu § 9, Ziff. 2).
c) Kein vorübergehendes Verweilen
Zum gewöhnlichen Aufenthalt gehört neben dem tatsächlichen Aufenthalt, dass Umstände objektiv erkennen lassen, dass der Aufenthalt andauernd und nicht nur vorübergehender Natur ist. Dies erfordert keine ununterbrochene Anwesenheit, sondern ist i.S.v. nicht nur vorübergehend zu verstehen (BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956). Bei Unterbrechungen der Anwesenheit kommt es darauf an, ob noch ein einheitlicher Aufenthalt oder mehrere getrennte Aufenthalte anzunehmen sind. Ein einheitlicher Aufenthalt ist gegeben, wenn der Aufenthalt nach den Verhältnissen fortgesetzt werden sollte und die Unterbrechung nur kurzfristig ist. Als kurzfristige Unterbrechung kommen in Betracht Familienheimfahrten, Jahresurlaub, längerer Heimatsurlaub, Kur und Erholung, aber auch geschäftliche Reisen. Der Tatbestand des gewöhnlichen Aufenthalts kann bei einem weniger als 6 Monate dauernden Aufenthalt verwirklicht werden, wenn Inlandsaufenthalte nacheinander folgen, die sachlich miteinander verbunden sind, und der Steuerpflichtige von vornherein beabsichtigt, nicht nur vorübergehend im Inland zu verweilen (BFH v. 27.7.1962 – VI 156/59 U, BStBl. II 1962, 428; v. 3.8.1977 – I R 210/75, BStBl. II 1978, 118; AEAO zu § 9, Ziff. 1).
Kurzfristige Unterbrechungen sind somit unschädlich. Aus der Aufenthaltsfiktion in § 9 S. 2 AO, die einen Aufenthalt mit einer Dauer von über 6 Monaten betrifft, ergibt sich, dass auch ein Aufenthalt, d...