1. Legaldefinition
Gemäß § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
Die nachfolgenden Ausführungen werden zeigen, dass diese Legaldefinition an objektive Umstände anknüpft, insb. an der Wohneignung von Räumlichkeiten zum Wohnen, am Innehaben und an der Nutzung der Wohnung. Die bloße Absicht, einen Wohnsitz begründen (oder nicht begründen) zu wollen, ist irrelevant. Dies steht im Gegensatz zu den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über den Wohnsitz, die an subjektiven rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen anknüpfen. Diese, aber auch melderechtliche Vorschriften können dementsprechend nicht oder zumindest nicht uneingeschränkt herangezogen werden. So ist die Anmeldung eines Wohnsitzes bei der Gemeinde – zusammen mit dem Bezug der Wohnung – zwar ein Indiz für die Begründung des Wohnsitzes. Der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt kommt alleine aber keine ausschlaggebende Bedeutung zu (BFH v. 8.5.2014 – III R 21/12, BStBl. II 2015, 135 = AO-StB 2014, 360; AEAO zu § 8, Ziff. 1.1; Gersch in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 8 Rz. 1 und 5).
2. Wohnung
Eine Wohnung liegt vor, wenn eine zum dauerhaften Wohnen geeignete, stationäre Räumlichkeit vorhanden ist, die insgesamt den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen entspricht und über die er tatsächlich verfügen kann (BFH v. 12.1.2001 – VI R 64/98, DStRE 2001, 641; v. 8.5.2014 – III R 21/12, BStBl. II 2015, 135 = AO-StB 2014, 360). Es reicht aus, wenn die Wohnung mit einfachsten Mitteln ausgestattet ist, daher genügt eine bescheidene Bleibe, z.B. Baracke, Wochenendhaus, Jagdhaus, Gartenhaus in einer Laubenkolonie oder auch ein dauerhaft gemieteter Wohnwagen auf einem Campingplatz. Es muss aber möglich sein, in der Wohnung einen Haushalt zu führen, daher sind Kochgelegenheit, Bad oder Dusche und Toilette notwendig – müssen jedoch nicht integriert sein –, nicht aber Telefon- oder Internetanschluss (BFH v. 26.8.2020 – II R 39/18, BFH/NV 2021, 347; AEAO zu § 8, Ziff. 2). Auch eine Beteiligung an einer Wohngemeinschaft wird als ausreichend angesehen (BFH v. 10.4.2013 – I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909). Des Weiteren reicht auch das – ggf. halbe – Zimmer in einem Alten- oder Pflegeheim aus.
Da eine Person mehrere Wohnungen haben kann, sind auch mehrfache Wohnsitze möglich, insb. auch im In- und Ausland (BFH v. 13.11.2013 – I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046; v. 28.1.2004 – I R 56/02, BFH/NV 2004, 917; AEAO zu § 8, Ziff. 1.3; Wilke / Weber, Lehrbuch internationales Steuerrecht, 16. Aufl. 2022, Rz. 26). Eine Person mit einem mehrfachen Wohnsitz wird jedoch immer nur einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. § 9 AO haben (BFH v. 10.8.1983 – I R 241/82, BStBl. II 1984, 11).
3. Innehaben einer Wohnung
Das Innehaben einer Wohnung erfordert die tatsächliche Verfügungsmacht über die Wohnung. Diese muss ständig genutzt, mindestens aber mit gewisser Regelmäßigkeit, wenn auch in größeren Zeitabständen aufgesucht werden; nicht erforderlich ist eine bestimmte Mindestaufenthaltszeit im Jahr (BFH v. 28.1.2004 – I R 56/02, IStR 2004, 497; AEAO zu § 3, Ziff. 3; Wilke / Weber, Lehrbuch internationales Steuerrecht, 16. Aufl. 2022, Rz. 24). Diese Voraussetzung fehlt insb. bei unentgeltlicher Überlassung von Wohnraum bei einem kurzfristigen Aufenthalt, beispielsweise durch den Arbeitgeber oder durch Verwandte oder Freunde (Gersch in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 8 Rz. 12).
Bei beruflichen Auslandsaufenthalten kann das Innehaben der im Inland belegenen Wohnung vermutet werden, wenn die Wohnung beibehalten wird, ihre Benutzung jederzeit möglich ist und sie weiterhin auch als Wohnung ausgestattet ist (BFH v. 24.1.2001 – I R 100/99, BFH/NV 2001, 1402).
4. Beibehaltung und Nutzung der Wohnung
Neben dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff weitere Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und künftig als solche genutzt wird. Hier kommt es auf den subjektiven Willen an, Räumlichkeiten jederzeit nach Wunsch zu nutzen; dieser unterscheidet den Wohnsitz vom bloßen Aufenthalt in einer Wohnung (BFH v. 28.1.2004 – I R 56/02, BFH/NV 2004, 917; AEAO zu § 8, Ziff. 4.2). Das Vorhandensein dieses Willens ist aus den objektiven Gesamtumständen im Wege der Prognose im Einzelfall zu prüfen. Es kommt darauf an, ob die Wohnung künftig genutzt, also ob sich in ihr ständig oder mindestens mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit tatsächlich aufgehalten werden soll (BFH v. 23.11.2000 – VI R 165/99, BStBl. II 2001, 279 = AO-StB 2001, 5; v. 17.5.1995 – I R 8/94, BStBl. II 1996, 2). Die Wohnung braucht nicht Mittelpunkt der Lebensinteressen zu sein und muss auch nicht dauernd benutzt werden, sie muss aber dem Inhaber jederzeit, also wann immer er es wünscht, zur Verfügung stehen (BFH v. 28.1.2004 – I R 56/02, BFH/NV 2004, 917; AEAO zu § 8, Ziff. 1.3).
Die Abgrenzung ist in der Praxis schwierig und führt öfters zu Rechtsstreitigkeiten. Da es an festen Zeitangaben mangelt, ist lediglich eine Orientierung an die bereits vorhandene Rspr. unter Berü...