1. Bedeutung
Gemäß § 11 AO hat eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse ihren Sitz an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist. Diese Regelung entspricht in ihrer Funktion der im ersten Teil dieses Beitrages vorgestellten Wohnsitzregelung bei natürlichen Personen. Sie ist insb. für die Steuerpflicht relevant, aber auch für die örtliche Zuständigkeit von Behörden.
§ 11 AO ist neben § 10 AO ergänzend anzuwenden (Gersch in Klein, AO, § 11 Rz. 1).
2. Regelungssubjekt
Unter § 11 AO fallen juristische Personen aller Art. Wie die Bezugnahme auf einen Gesellschaftsvertrag zeigt, sind aber auch andere Gesellschaften gemeint, die unter ihrer Firma am Wirtschaftsverkehr teilnehmen, auch wenn sie keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen. Das Wort Satzung deutet auf Vereine und Stiftungen hin. Die Regelung ist im Übrigen nicht auf Rechtsgebilde nach deutschem Recht beschränkt, sondern bezieht sich auch auf Körperschaften und Gesellschaften nach ausländischem Recht (Gersch in Klein, AO, § 11 Rz. 2 m.w.N.).
3. Regelungsinhalt
Während für den Ort der Geschäftsleitung, wie oben ausgeführt, gem. § 10 AO die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich sind, wird der Sitz einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.d.R. durch Rechtsgeschäft (Gesellschaftsvertrag, Satzung ...) oder durch Gesetz festgelegt. Hierbei handelt es sich um den Sitz im zivilrechtlichen Sinn, wenn es im Gesetz heißt, dass eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse ihren Sitz an dem Ort hat, der durch Gesetz (§ 24 BGB), Gesellschaftsvertrag (§ 106 HGB, § 4a GmbHG, § 5 AktG), Satzung (§ 5 AktG), Stiftungsgeschäft (§ 81 Abs. 1 BGB) oder dergleichen bestimmt ist.
Der Sitz kann gleichzeitig der Ort der Geschäftsleitung sein, wenn eine tatsächliche, örtliche Verknüpfung mit der Geschäftsführung des Unternehmens besteht (BFH v. 28.2.1990 – I R 120/86, BStBl. II 1990, 553). Wenn rechtsgeschäftlicher und tatsächlicher Sitz jedoch auseinanderfallen, ist der tatsächliche Sitz maßgebend. Ansonsten entspricht der steuerliche Sitz dem zivilrechtlichen Sitz gem. §§ 24, 80 BGB, 17 ZPO. Ebenso wie im Zivilrecht ist die Begründung eines statuarischen Doppelsitzes im Steuerrecht nicht möglich und damit auch unbeachtlich. In diesem Fall sind zur zutreffenden Sitzbestimmung die Regeln über die Geschäftsleitung ergänzend heranzuziehen (Gersch in Klein, AO, § 11 Rz. 3; Wilke / Weber, Lehrbuch internationales Steuerrecht, 16. Aufl. 2022, Ziff. 49).
Während deutsche Gesellschaften ihren Satzungssitz im Gesellschaftsvertrag vereinbaren, ist in anderen Ländern ein derartiger Satzungssitz nicht vorhanden. Oftmals wird dann auf den Registersitz verwiesen. Es handelt sich um den Ort in dem Land, in dem die Gesellschaft registriert ist.
4. Scheinsitz
Ein Scheinsitz ist steuerrechtlich unbeachtlich (§ 41 Abs. 2 AO), selbst wenn er im Handelsregister oder bei der Gewerbeanmeldung angegeben wurde. Indizien für das Vorliegen eines Scheinsitzes sind z.B., dass keinerlei Geschäftsleitungs- oder Arbeitgeberfunktion besteht oder dass kein Zahlungsverkehr am eingetragenen Firmensitz stattfindet. Insb. fällt die Briefkastenfirma hierunter (vgl. BFH v. 6.12.2007 – V R 61/05, BStBl. II 2008, 695).