Leitsatz
Das BMF wird gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 FGO zum Beitritt aufgefordert, um zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Nr. 12 EStG im Hinblick auf die Steuerfreiheit der Amtsausstattung und der Kostenpauschale für Abgeordnete (§ 12 AbgG) Stellung zu nehmen.
Normenkette
§ 3 Nr. 12 Satz 1 EStG, § 12, § 16, § 17 Abs. 2 und 3 AbgG, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der mit seiner Ehefrau zusammen zur ESt veranlagte Kläger erzielte im Jahr 2001 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Mit ihrer Klage begehrten die Eheleute die Anerkennung von Werbungskosten in Höhe von 71.736 DM bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit des Klägers. Dies entspreche dem Betrag, den die Abgeordneten des Deutschen Bundestags als steuerfreien Aufwendungsersatz erhalten hätten.
Entscheidung
Angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben hat der VI. Senat das BMF gebeten, zu einer Reihe von Fragen Stellung zu nehmen. So u.a.
- wie ist sichergestellt, dass sich die steuerfreie Kostenpauschale von derzeit 43.764 € und die nach allgemeinen Grundsätzen abziehbaren Erwerbsaufwendungen annähernd decken?
- welche Arten von Kosten sollen durch die steuerfreie Kostenpauschale abgedeckt werden; dies obgleich die Möglichkeit besteht, auf Nachweis weitere Kostenerstattungen (z.B. Übernachtungsgelder sowie Flug- und Fahrtkostenerstattungen für Inlands- und Auslandsdienstreisen) zu erlangen?
- bestehen für die Gruppe der Abgeordneten besondere Bedürfnisse, die Kostenpauschale den allgemeinen Lebenshaltungskosten aller privaten Haushalte jährlich anzupassen, obgleich eine solche Koppelung an die Lebenshaltungskosten dem EStG fremd ist?
- welche Gründe bestehen, Abgeordnete von den Beschränkungen des Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzugs für Repräsentations- und Einladungskosten auszunehmen?
- wie wird bei der Festsetzung der Kostenpauschale, die auch Verpflegungsmehraufwendungen des Abgeordneten umfasst, dem Umstand Rechnung getragen, dass für andere Steuerpflichtige ein Mehraufwand für Verpflegung im Rahmen der doppelten Haushaltsführung und Auswärtstätigkeiten nur für drei Monate zum Werbungskosten-/Betriebsausgabenabzug führen kann?
- wie ist es zu rechtfertigen, dass Mitglieder des Bundestags das Recht auf freie Benutzung aller Verkehrsmittel der Deutschen Bahn, und zwar auch für Privatfahrten, haben, während andere Einkommensteuerpflichtige den privaten Nutzungsvorteil zu versteuern haben?
- worin liegt die Rechtfertigung für eine steuerfreie Vollpauschalierung, in deren Genuss allein die Gruppe der Abgeordneten mit ihren Einkünften aus der Abgeordnetentätigkeit kommt, während dem EStG eine solche Vollpauschalierung fremd ist?
4. Schließlich wurde das BMF auch um Stellungnahme dazu gebeten, ob es Steuerpflichtigen möglich sein könne, einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss zur Überprüfung zu stellen und ob es dabei bedeutsam sein könne, dass die gleichheitswidrig begünstigte Gruppe als Gesetzgeber diese Begünstigung selbst für sich geschaffen habe. Insoweit geht es nicht darum, dass Klagen gegen Steuerbescheide Dritter zugelassen werden. Vielmehr geht es um die Frage, ob und wie ein Schutz gegen die eigene Benachteiligung durch Privilegien Dritter prozessual zu erreichen ist.
Auch angesichts der neueren Rechtsprechung des BVerfG ist insoweit sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen (vgl. hierzu auch Tipke, Rechtsschutz gegen Privilegien Dritter, FR 2006, 949 ff.).
Hinweis
1. Beim VI. Senat des BFH sind mehrere Revisionsverfahren anhängig, in denen Kläger geltend machen, sie würden bei der Besteuerung ihres Einkommens im Vergleich zu Abgeordneten des Deutschen Bundestags gleichheitswidrig benachteiligt. Wegen der Breitenwirkung der Verfahren hat der VI. Senat das BMF ersucht, drei Verfahren beizutreten. Sofern dies geschieht, erlangt das BMF die Stellung eines Verfahrensbeteiligten und kann sich in den Verfahren äußern und eigene Anträge stellen.
2. Das Ersuchen begründet der VI. Senat mit verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen die gesetzlich bestimmte Steuerfreiheit der Kostenpauschale für Abgeordnete (§ 3 Nr. 12 EStG und § 12 AbgG) erhoben werden. Das BVerfG hatte hierzu bereits insbesondere im sog. Diätenurteil (vgl. Urteil vom 5.11.1975, 2 BvR 193/74, BVerfGE 40, 296) die aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen für steuerfreie Aufwandspauschalen der Abgeordneten gezogen. Danach muss gewährleistet sein, dass die Steuerfreiheit nur Bezüge zum Ausgleich von einkommensteuerlich absetzbarem, wirklich entstandenem und auch sachlich angemessenem Erwerbsaufwand erfasst.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 21.9.2006, VI R 81/04