Leitsatz
Erfolgt der das Verlustabzugsverbot des § 8c Satz 1 KStG 2002 n.F. auslösende schädliche Beteiligungserwerb während des laufenden Wirtschaftsjahrs, kann ein bis zu diesem Zeitpunkt in diesem Wirtschaftsjahr erzielter Gewinn mit dem bisher noch nicht genutzten Verlust verrechnet werden (gegen BMF-Schreiben vom 4.7.2008, BStBl I 2008, 736, Tz. 31 Satz 2).
Normenkette
§ 8c KStG 2002 n.F.
Sachverhalt
Der bisherige Alleingesellschafter der Klägerin, einer GmbH, verkaufte im Streitjahr 2008 einen Geschäftsanteil von 50 %. Der Gewinn für das laufende Geschäftsjahr sollte ihm insoweit zustehen, als er auf den Zeitraum bis zum Tag der notariellen Beurkundung am 3.7.2008 entfiel.
Der für die Klägerin festgestellte verbleibende Verlustvortrag zur KSt auf den 31.12.2007 betrug 60.046 EUR. Für das Streitjahr ermittelte die Klägerin einen Jahresüberschuss i.H.v. rd. 121.815 EUR. Ein Zwischenabschluss zum 31.5.2008 wies einen bis dahin angefallenen Jahresüberschuss von 50.737 EUR aus.
Das FA berücksichtigte unter Hinweis auf § 8c Satz 1 KStG 2002 und Tz. 31 des BMF-Schreibens vom 4.7.2008 bei der Einkommensermittlung lediglich einen Verlustabzug i.H.v. 50 % von 60.046 EUR; den verbleibenden Verlustabzug stellte es auf den 31.12.2008 mit 0 EUR fest. Die gegen die Festsetzung der KSt gerichtete Klage hatte Erfolg (FG Münster, Urteil vom 30.11.2010, 9 K 1842/10 K, Haufe-Index 2666518, EFG 2011, 909).
Entscheidung
Der BFH wies die daraufhin erhobene Revision des FA zurück. "Unterjährig" auflaufende Gewinne im Übertragungsjahr seien mit bis dahin noch ungenutzten Verlusten zu verrechnen. Solche Verluste würden durch § 8c KStG weder ganz noch teilweise "vernichtet".
Hinweis
1. Es geht um die leidige Verlustvernichtungsvorschrift des § 8c KStG.
Nach dessen Satz 1 gilt: Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb), sind insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar.
Satz 2 zieht die Rechtswirkungen nochmals an: Bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte Verluste sind vollständig nicht mehr abziehbar, wenn besagte Übertragungsakte sich auf mehr als 50 % der genannten Bezugswerte beziehen. Und das war die Situation im Urteilsfall.
2. Jedoch: Noch nicht genutzte Verluste bleiben bis zum unterjährig, also binnen des laufenden Jahres, erfolgten Anteilsverkauf von dem Abzugsausschluss unberührt. Sie sind mit etwaigen Gewinnen, die bis zu dem schädlichen Beteiligungserwerb im laufenden Jahr erzielt werden, uneingeschränkt zu verrechnen. Nur der Saldo wird mit dem Verdikt des § 8c KStG belegt. Das alles ist zwar hochstreitig und widerspricht der einschlägigen Verwaltungspraxis im BMF-Schreiben vom 4.7.2008 (BStBl I 2008, 736), Tz. 31 Satz 2.
Der BFH entnimmt diese Deutung des Gesetzes aber mannigfachen Anhaltspunkten in Text, Zweck und Systematik der inkriminierten Norm. Und darauf wird sich die Praxis denn auch – vorbehaltlich einer abermaligen Regelungsverschärfung – einstellen dürfen. Wichtig ist es, die Ertragslage bis zum (rechtlichen und/oder wirtschaftlichen) Übertragungsstichtag klar zu dokumentieren und darzutun.
3. Infolge der von ihm vorgenommenen Interpretation konnte der BFH "durcherkennen". Er ersparte sich ein weiteres Zuwarten auf die Entscheidung des BVerfG über das Normenkontrollersuchen des FG Hamburg (Beschluss vom 4.4.2011, 2 K 33/10, Haufe-Index 2689933, EFG 2011, 1460) über die Vereinbarkeit des § 8c KStG mit dem GG. Dieses Ersuchen ist beim BVerfG unter dem Az. 2 BvL 6/11 anhängig.
Allerdings bezieht sich dieses (nur) auf § 8c Satz 1 KStG und die dort angeordnete Abzugsbeschränkung, erklärtermaßen aber nicht auf den Vollabzug, wie ihn Satz 2 der Vorschrift bestimmt. Das wiederum gibt derzeit der Finanzverwaltung Anlass, diesbezüglich – also bezüglich Satz 2 – weder eine AdV zu gewähren noch mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden zu sein (s.a. treffend Kessler/Hinz, BB 2012, 555: "… homöopathisch dosierte AdV").
Was die AdV anbelangt, hat das FG Münster sich (durch Beschluss vom 1.8.2011, 9 V 357/11 K, G, Haufe-Index 2741305, EFG 2012, 165) dieser strengen Sichtweise bereits widersetzt. (Dagegen wurde seitens des FA Beschwerde beim BFH [I B 150/11] eingelegt.) Und das wird jedenfalls in der "Kernfrage" durchaus "genährt", wirft man einen Blick auf den BFH-Beschluss vom 28.10.2011, I R 31/11 (Haufe-Index 2904137) zur Verfahrensaussetzung gem. § 74 FGO:
"Das BVerfG hat … darüber zu entscheiden, ob § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 n.F. mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Ein Revisionsverfahren ist im Hinblick darauf nach § 74 i.V.m. § 121 FGO auch dann auszusetzen, wenn darüber gestritten wird, ob § 8c Abs. 1 Satz 2 KSt...