Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die von der Finanzverwaltung (BMF, Schreiben vom 14.11.2000, IV A 6 -S 2174- 5/00, BStBl I 2000, 1514) vertretene Ansicht, dass eine Teilwertabschreibung auf teilfertige Bauten auf fremdem Grund und Boden nur hinsichtlich des dem jeweiligen Stand der Fertigstellung entsprechenden, auf die Bauten entfallenden Anteils der vereinbarten Vergütung zulässig sei, der Rechtslage entspricht.
Normenkette
§ 5 Abs. 1 EStG , § 5 Abs. 4a EStG , § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG , § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG , § 249 Abs. 1 HGB , § 253 HGB , § 266 Abs. 2 HGB , § 69 FGO
Sachverhalt
Die Antragstellerin betrieb ein Bauunternehmen. Sie erbrachte ihre Bauleistungen überwiegend aufgrund von Werklieferungs- oder Werkleistungsverträgen auf fremdem Grund und Boden. In ihren Bilanzen hat sie u.a. "unfertige Bauleistungen" nach dem Grundsatz einer "absatzmarktorientierten verlustfreien Bewertung" unter Berücksichtigung des aus dem Gesamtauftrag zu erwartenden Verlusts angesetzt.
Das FA vertrat demgegenüber die Ansicht, dass nur der dem Fertigungsgrad der "unfertigen Bauleistungen" entsprechende Verlust am Bilanzstichtag im Weg der Teilwertabschreibung berücksichtigt werden könne. Dem entsprechend erließ es für die Streitjahre 1997 und 1998 geänderte Feststellungs- und Gewerbesteuermessbescheide.
Das FG setzte die Vollziehung der Bescheide wegen der beachtlichen gegenteiligen Äußerungen im Schrifttum aus.
Entscheidung
Der BFH teilte die Ansicht des FG. Es sei klärungsbedürftig, in welchem Verhältnis die retrograde Teilwertminderung auf der Grundlage gesunkener Verkaufspreise zur Verlustrückstellung und damit zur Reichweite des Verbots des § 5 Abs. 4a EStG stehe. Es sprächen beachtliche Gründe dafür, die halbfertigen Bauten nach den für die Bewertung von Vorratsvermögen geltenden Grundsätzen zu bewerten, insbesondere auch eine Teilwertabschreibung nach den Grundsätzen einer verlustfreien Bewertung zuzulassen.
Hinweis
Der vorliegende Aussetzungsbeschluss ist für die Bauwirtschaft von großer Bedeutung. Die Unternehmen können für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.1996 enden, keine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften mehr bilden (§ 5 Abs. 4a EStG). Welche rechtlichen Folgen sich aus diesem Verbot für verlustträchtige, noch nicht abgewickelte Absatzgeschäfte im Rahmen einer Teilwertabschreibung auf Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens ergeben, regelt weder das Handelsbilanzrecht hinsichtlich des Rangverhältnisses zwischen Teilwertabschreibung und Verlustrückstellung noch das Steuerbilanzrecht, das für schwebende Absatzgeschäfte keine dem Verbot der Verlustrückstellung entsprechende Beschränkung vorsieht.
Der BFH hat die Frage noch nicht entschieden. Er ging jedoch in seiner bisherigen Rechtsprechung davon aus, dass die Bewertung von Vorräten nichts mit der Bewertung und der Bilanzierung schwebender Geschäfte zu tun habe, die diese Vorräte betreffen; eine Teilwertabschreibung sei selbst dann möglich, wenn die Vorräte fest verkauft, aber der Kaufvertrag noch von keiner Seite erfüllt sei (vgl. u.a. BFH, Urteil vom 29.7.1965, IV 164/63 U, BStBl III 1965, 648). Das gelte auch für teilfertige Arbeiten aus einem Werkvertrag und für die Ermittlung des Teilwerts nach der sog. Verlustfreien Bewertung (für das Bewertungsrecht, das schon früher systembedingt eine Verlustrückstellung nicht zuließ, BFH, Urteil vom 17.5.1974, III R 50/73, BStBl II 1974, 508).
Für das Steuerbilanzrecht ging der BFH in diesem Fall von einem Vorrang der Teilwertabschreibung vor der Verlustrückstellung aus (BFH, Urteil vom 28.11.1974, V R 36/74, BStBl 1975, 398 unter 4. der Gründe). In der Rechtsprechung der FG und im Schrifttum werden zu den Auswirkungen des Verbots der Verlustrückstellung unterschiedliche Meinungen vertreten. Das BMF nimmt eine vermittelnde Haltung ein: Eine Teilwertabschreibung sei zwar nicht hinsichtlich des vollständigen zu erwartenden Verlusts aus dem Geschäft, wohl aber hinsichtlich des dem jeweiligen Stand der Fertigstellung entsprechenden, auf die Bauten entfallenden, anteilig realisierten Verlusts möglich (BMF, Schreiben vom 14.11.2000, BStBl I 2000, 1514). Der BFH hält die Bedenken gegen eine Beschränkung der Teilwertabschreibung für so erheblich, dass er die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide durch das FG bestätigt hat; der Beschluss lässt erkennen, dass er auch der "vermittelnden Meinung" des BMF skeptisch gegenübersteht.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 28.4.2004, VIII B 79/03