Leitsatz
1. Eine Person steht einem Steuerpflichtigen i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 AStG nahe, wenn eine dritte Person am Grund- oder Stammkapital sowohl der Person als auch des Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar wesentlich beteiligt ist. Beschränkungen im Innenverhältnis aufgrund einer Treuhand sind ebenso unbeachtlich wie Stimmrechtsbeschränkungen. Gleiches gilt im Ergebnis für die Annahme eines Nahestehens im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer vGA.
2. Die Verpflichtung, bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG Aufzeichnungen zu erstellen und diese auf Verlangen der Finanzbehörde vorzulegen (§ 90 Abs. 3 AO), ist mit der Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG vereinbar.
Normenkette
§ 90 Abs. 3, § 162 Abs. 3, Abs. 4 AO, § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 5 AStG, § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GAufzV, Art. 46 Abs. 1, Art. 49, Art. 55 (= AEUV Art. 52, Art. 56, Art. 62) EG, § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG
Sachverhalt
Die Anteile an der Klägerin, einem Finanzunternehmen in Gestalt einer GmbH, wurden im Streitjahr von einer luxemburgischen S. A. gehalten, deren Alleingesellschafterin wiederum eine luxemburgische Holding war. Die S. A. hielt die Anteile an der Klägerin treuhänderisch für einen luxemburgischen Fonds. Die maßgebenden geschäftlichen Entscheidungen für den Fonds wurden von der S. A. getroffen.
Die Klägerin schloss mit einer ebenfalls luxemburgischen Schwestergesellschaft, einer AG, ein "Service Agreement", wonach die AG im Rahmen der getätigten Finanztransaktionen Dienstleistungen zu erbringen hatte. Daneben verständigte man sich auf eine Gebührenvereinbarung. Die Gebühren der AG sollten sich auf der Basis der von der Klägerin erzielten Erträge aus der Ausnutzung von Geschäftsmöglichkeiten ergeben. Auf dieser Basis stellte die AG der Klägerin Gebühren von rd. 4,6 Mio. EUR in Rechnung.
Um im Rahmen einer Außenprüfung zu klären, ob die Geschäftsbeziehungen zwischen der Klägerin und der AG dem zwischen fremden Dritten Üblichen entsprachen oder ob die Zahlungen an die AG als vGA zu qualifizieren sind, forderte das FA die Klägerin gem. § 90 Abs. 3 AO auf, eine Verrechnungspreisdokumentation nach Maßgabe der GAufzV und der VG-Verf. vorzulegen, und setzte zur Vorlage eine Frist von 60 Tagen.
Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach. Sie legte lediglich eine "Dokumentation der Geschäftsbeziehungen" zu der AG für das zu prüfende Wirtschaftsjahr vor, eine Angemessenheitsdokumentation jedoch nicht.
Die anschließende Klage gegen die Vorlageaufforderung blieb erfolglos (Hessisches FG, Urteil vom 23.3.2011, 4 K 419/10, Haufe-Index 2713070).
Entscheidung
Auch der BFH beließ der Revision keine Chance: Da eine vGA unter den festgestellten Gegebenheiten "ernsthaft in Erwägung zu ziehen" sei, sei das FA berechtigt, eine lückenlose Verrechnungspreisdokumentation zu verlangen. Dem stünden weder die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 90 Abs. 3 AO noch übergeordnetes Unionsrecht entgegen: Die Klägerin "stehe" der AG "nahe" und eine vGA sei ernsthaft zu gewärtigen. Es lasse sich zwar nicht ausschließen, dass das, was das FA einfordere, sich "am Ende des Tages" denn doch als unverhältnismäßig herausstelle. Nur könne das nicht bereits im Verfahren gegen die behördliche Dokumentationsanforderung abschließend geklärt werden. Es bleibe abzuwarten, ob das FA, wenn es das Vorgelegte als nicht ausreichend erachte, daraus Konsequenzen ziehe, wie sie in § 162 Abs. 3 und 4 AO ermöglicht würden. Es sei dann Sache der Klägerin, sich zu gegebener Zeit dagegen zu wehren.
Hinweis
1. Nach § 90 Abs. 3 AO hat der Steuerpflichtige bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit ihm nahestehenden Personen Aufzeichnungen zu erstellen und diese auf Verlangen der Finanzbehörde vorzulegen. Diese Pflichten beziehen sich insbesondere auf die mit den Nahestehenden vereinbarten sog. Verrechnungspreise.
Einzelheiten der Dokumentation regelt die Finanzverwaltung in der "Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung" (GAufzV). Kommt der Steuerpflichtige den Dokumentationspflichten nicht oder nur unvollständig nach, ermöglicht § 162 Abs. 3 AO eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zu seinem Nachteil. Außerdem erlaubt § 162 Abs. 4 AO für solche Fälle einen "Strafzuschlag" zur festgesetzten Steuer von mindestens 5.000 EUR, bei verspäteter Vorlage der Aufzeichnungen sogar bis zu 1 Mio. EUR.
Sachverhalte ohne entsprechenden Auslandsbezug sind von diesen Pflichten, die für die Steuerpflichtigen erheblichen Aufwand und erhebliche Kosten verursachen, nicht betroffen. Inlandssachverhalte und Auslandssachverhalte werden also "ungleich" behandelt.
2. Der BFH sah in dieser Ungleichbehandlung dennoch keinen Verstoß gegen das Unionsrecht:
Zwar werde in den Schutzbereich danach bestehender Grundfreiheiten im gemeinsamen Binnenmarkt eingegriffen. Doch sei dieser Eingriff durch zwinge...