Leitsatz
Die gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG ab 2010 unbeschränkt abziehbaren Basiskranken- und Pflegeversicherungsbeiträge müssen auch dann vorrangig mit den im selben Veranlagungszeitraum erstatteten Beiträgen zur Basiskranken- und Pflegeversicherung verrechnet werden, wenn diese im Jahr ihrer Zahlung nur beschränkt steuerlich abziehbar waren.
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nr. 3, § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG
Sachverhalt
Das FA reduzierte die vom Kläger im Jahr 2010 geleisteten, grundsätzlich vollständig steuerlich abziehbaren Beiträge für eine private Krankenversicherung zur Basisabsicherung um die in diesem Jahr erstatteten Krankenversicherungsbeiträge für die Vorjahre, obwohl sich diese im Jahr ihrer Zahlung steuerlich kaum ausgewirkt hatten. Das FG hat der dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage stattgegeben (Niedersächsisches FG, Urteil vom 18.12.2013, 4 K 139/13, Haufe-Index 6528200, EFG 2014, 832).
Entscheidung
Die Revision des FA war begründet. Der BFH hob das Urteil des FG auf und wies aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen die Klage ab.
Hinweis
1. Voraussetzung für den Sonderausgabenabzug ist, dass der Steuerpflichtige durch die in § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG im Einzelnen aufgeführte Aufwendungen tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist.
Bei den in der Regel jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben (insbesondere Versicherungsbeiträge oder Kirchensteuer) steht häufig die endgültige Belastung im Zahlungsjahr noch nicht fest, weil der Steuerpflichtige nach Ablauf des Veranlagungszeitraums Erstattungen erhält. In diesen Fällen sind nach ständiger BFH-Rechtsprechung und Verwaltungspraxis die erstatteten Beiträge mit den im Jahr der Erstattunggezahlten gleichartigen Sonderausgaben zu verrechnen, sodass nur der Saldo zum Abzug als Sonderausgaben verbleibt. Stehen nicht genügend verrechenbare gleichartige Sonderausgaben zur Verfügung, wird der entstandene Erstattungsüberhang – und nur dieser – mit den Sonderausgaben im Zahlungsjahr der erstatteten Sonderausgaben verrechnet.
2. Die Verrechnung setzt indes zusätzlich voraus, dass es sich um gleichartige Sonderausgaben handelt. Die Gleichartigkeit der Sonderausgaben richtet sich nach deren Sinn und Zweck sowie der wirtschaftlichen Bedeutung und den Auswirkungen für den Steuerpflichtigen. Bei Versicherungsbeiträgen kommt es auf die Funktion der Versicherung und das abgesicherte Risiko an.
3. Die unterschiedlichen steuerlichen Auswirkungen der Sonderausgaben im Zahlungs- und Erstattungsjahr sind bei der Beurteilung der Gleichartigkeit hingegen unbeachtlich. An der Geltung dieses Grundsatzes ändert sich nach Auffassung des X. Senats auch dann nichts, wenn sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung, erheblich ändern. Dieses war von verschiedenen FG unterschiedlich gesehen worden.
Die bisherige und vom BFH erneut bestätigte Rechtsprechung kann demzufolge dazu führen, dass gezahlte Sonderausgaben sich steuerlich nicht auswirken, obwohl insgesamt eine tatsächliche und endgültige wirtschaftliche Belastung vorliegt.
Andererseits kann in anderen Fällen die vorrangige Verrechnung im Erstattungsjahr auch bewirken, dass Erstattungen von Sonderausgaben im Ergebnis steuerlich unbeachtlich sind, obwohl die frühere Zahlung der Sonderausgaben zu einer Steuerminderung geführt hat. Entsprechendes gilt für Nachzahlungen.
4. Dieses Ergebnis steht weder im Widerspruch zur BVerfG-Rechtsprechung(Beschluss vom 13.2.2008, 2 BvL 1/06, BVerf-GE 120, 125) noch zur gesetzlichen Neuregelung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung, wonach die Aufwendungen für den Basiskrankenversicherungsschutz steuerlich vollständig abziehbar sein müssen. Grund ist, dass die notwendige tatsächliche wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen durch die Erstattungen entsprechend vermindert wird.
5. Unmittelbar relevant und von besonderer Bedeutung ist dieses Urteil für alle ab 2010 erstatteten Krankenversicherungsbeiträge, die in den Veranlagungszeiträumen vor 2010 geleistet wurden. Die Aussage, dass bei der Beurteilung der Gleichartigkeit von Sonderausgaben im Rahmen ihrer Verrechenbarkeit die steuerliche Abziehbarkeit keine Rolle spielt, ist aber nicht nur auf die Krankenversicherungsbeiträge beschränkt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 6.7.2016 – X R 6/14