Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Verluste aus der Veräußerung von Wertpapieren, die vor dem 1.1.2009 angeschafft wurden (sog. Altverluste), unterliegen auch nach dem Inkrafttreten der Abgeltungsteuer dem Halbeinkünfteverfahren.
2. Die Übergangsregelung zur Verrechnung von sog. Altverlusten mit Aktiengewinnen, die der Abgeltungsteuer unterliegen, ist verfassungsgemäß.
Normenkette
§ 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2, § 23 Abs. 3 Satz 9, § 52a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2, Abs. 10, Abs. 11 EStG, Art. 3, 14 GG
Sachverhalt
Der Kläger erzielte im Streitjahr 2009 Aktiengewinne in Höhe von 59.038 EUR. Aus dem Verkauf von Wertpapieren, die er vor dem 1.1.2009 angeschafft und innerhalb von zwölf Monaten veräußert hatte, entstand ein Verlust in Höhe von 26.244 EUR. Diesen berücksichtigte das FA bei der Festsetzung der Einkommensteuer unter Anwendung Halbeinkünfteverfahrens nur zur Hälfte. Das FG wies die Klage, die auf die volle Berücksichtigung des sog. Altverlustes gerichtet war, ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.4.2013, 3 K 3273/11, Haufe-Index 4240494, EFG 2013, 1219).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das FG, wie in den Praxis-Hinweisen erläutert wird.
Hinweis
1. In der Praxis wartete man gespannt darauf, wie der BFH hinsichtlich der Verrechnung von sog. Altverlusten aus Wertpapiergeschäften entscheiden wird. Es geht dabei um die Verrechnung von Verlusten aus dem Verkauf von Wertpapieren, die vor dem Inkrafttreten der Abgeltungsteuer am 1.1.2009 angeschafft wurden. Nach den zwar unübersichtlich, aber eindeutig geregelten Übergangsvorschriften zur Einführung der Abgeltungsteuer unterliegen die Altverluste weiter dem Halbeinkünfteverfahren. Dies hat zur Folge, dass sich deren Einkunftsminderungspotenzial bei der Verrechnung mit Aktiengewinnen, die unter das Regime der Abgeltungsteuer fallen, nur zur Hälfte auswirkt.
2. Bereits geklärt war die Frage, ob und wie das Halbeinkünfteverfahren im Verlustfall anzuwenden ist. Nach der in der Besprechungsentscheidung zitierten Rechtsprechung des BFH ist das Halbabzugsverbot auch bei einem Veräußerungsverlust anzuwenden und verfassungsgemäß. Dabei ist nicht der nach der Verlustverrechnung verbleibende Gewinn zu halbieren, sondern der Veräußerungspreis und die mit dem Erwerb der Wertpapiere zusammenhängenden Anschaffungs- und Werbungskosten. Diese Rechtslage gilt auch nach der Einführung der Abgeltungsteuer für die Verrechnung von Altverlusten fort.
3. In der Besprechungsentscheidung hat der BFH die nur hälftige Berücksichtigung der Altverluste bei der Verrechnung mit Gewinnen, die unter die Abgeltungsteuer fallen, als verfassungsgemäß angesehen. Da auch Altgewinne dem Halbeinkünfteverfahren, bzw. nach Ablauf der Haltefrist überhaupt nicht mehr der Besteuerung unterliegen, sah es der BFH als folgerichtig an, dass auch die Altverluste halbiert werden. Die Grenze der Zumutbarkeit sei gewahrt, da eine Verrechnung der Altverluste auch nach der Einführung der Abgeltungsteuer überhaupt möglich sei. Zudem sei der nach der Verrechnung verbleibende Gewinn lediglich mit dem Abgeltungsteuersatz in Höhe von 25 % zu besteuern.
4. Die Halbierung des Einkunftsminderungspotenzials der Altverluste hält der BFH auch im Hinblick auf eine Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG für sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe mit der Abgeltungsteuer einen grundlegenden Systemwechsel hinsichtlich der Besteuerung von Kapitaleinkünften ins Werk gesetzt. Mit den Übergangsvorschriften habe er das legitime Ziel verfolgt, den Systemwechsel erst zum 1.1.2009 in Kraft treten zu lassen. Dieses Vereinfachungsziel liefere einen tragfähigen Sachgrund für die ungleiche Steuerbelastung bei der Verrechnung von Altverlusten. Auch in zeitlicher Hinsicht verstoße die Regelung nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dem Gesetzgeber sei es nicht verwehrt, eine Stichtagsregelung einzuführen. Die damit verbundenen Härten seien aufgrund der Zielsetzung der Abgeltungsteuer gerechtfertigt. Da der Steuerpflichtige mit einer vollen Verlustverrechnung im Zeitpunkt des Erwerbs der Wertpapiere nicht sicher habe rechnen können, liege auch kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor. Schließlich hat der BFH auch ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG verneint.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 3.11.2015 – VIII R 37/13